In diesem Jahr stehen über 70 nationale Wahlen an – die Hälfte der Weltbevölkerung wird zur Wahlurne schreiten. Es wird ein entscheidendes Jahr für die (geo-)politische Stabilität und den Welthandel. Der Index der sozialen und politischen Risiken von Coface warnt vor einem wackeligen, risikoreichen Umfeld weltweit.

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Wie so viele im Gastgewerbe litt auch die US-Restaurantketten-Holding Bloomin’ Brands sowohl unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie als auch unter der ungewohnt hohen Inflationsrate. Um gegenzusteuern, digitalisierte die Holding mit rund 1.500 Restaurants und 93.000 Mitarbeitern ihr Lieferkettenmanagement grundlegend. Natürlich war die Supply Chain auch vorher schon „digital“. Doch es gab unterschiedliche Datensilos, sodass z.B. die eine Restaurantkette nicht wusste, was die andere tat. Hinzu kam, dass die Signale aus den Restaurants meist zeitverzögert in den Systemen ankamen. Eine Folge davon: der gefürchtete Peitschenhieb-Effekt.

In mehr als 70 Ländern wird 2024 gewählt

Es besteht kein Zweifel daran, dass 2024 ein turbulentes Wahljahr wird. Bereits im Januar wurde in Taiwan der China-kritische Lai Ching-te, auch bekannt unter seinem englischen Namen William Lai, zum neuen Präsidenten gewählt. Die wohl bedeutendsten Wahlen dieses Jahr finden dann am 5. November in den USA statt. Das historisch hohe Wahlaufkommen wird mehr als 70 Nationen – darunter sieben der bevölkerungsreichsten Länder der Welt – und somit die Hälfte der Weltbevölkerung und etwa 55% des globalen Bruttoinlandsprodukts betreffen. Ob in Indien, Mexiko, Österreich, Tunesien, Indonesien oder El Salvador – überall könnten sich nach den Wahlen populistische Strömungen ausbreiten und damit alle fünf Kontinente erfassen. Dies wird einen Trend verstärken, der sich zuletzt mehr und mehr etabliert hat: die Zunahme sozialer Unruhen und (geo-)politischer Instabilität.

Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Wahlen unterstreicht der neueste Risikoindex von Coface, dass die soziale und politische Anfälligkeit weltweit zunimmt. Die Indikatoren kündigen seit Beginn des Jahrzehnts an, dass wir in eine neue Phase sozialer und politischer Risiken eintreten. Das führt gleichermaßen zu Unsicherheit und Instabilität. Der globale Durchschnittswert ist auf 38,6% gestiegen, was nicht weit vom Höchststand von 39,4% im Jahr 2021 nach der Covid-19-Krise entfernt ist und über dem Vor-Pandemie-Niveau liegt. Zwischen 2016 und 2020 lag der durchschnittliche Indexwert bei 36,9% (Skala von 0 = geringstes Risiko bis 100% = höchstes Risiko).

Drei Aspekte im Fokus

In einer Welt, in der die geopolitische Ordnung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hat, neu gestaltet wird, kommt einigen Wahlen besondere Bedeutung zu. Die „Presidential Elections“ in den Vereinigten Staaten sind ein entscheidender Moment für die Weltpolitik und werden sicherlich Ziel von Destabilisierungsversuchen sein. Gleiches gilt für Taiwan, wo der Sieg der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) bedeutet, dass sich die Spannungen mit China weiterhin um den Status der Insel drehen werden. Auch das Ergebnis der US-Wahl wird für die künftigen Beziehungen zwischen dem Westen und dem chinesischen Festland entscheidend sein.

Die Risiken, die mit Wahlen verbunden sind, variieren in ihrer Art und ihrem Ausmaß. Einige der Wahlen bestimmen nur die repräsentative Funktion der Präsidentschaft, andere bestimmen die Parlamentszusammensetzung. Und in einigen Ländern werden zwar Wahlen stattfinden, aber die Wähler werden nur eine begrenzte Auswahl haben. Mit Blick auf die Risiken zeichnen sich dabei drei Trends ab:

1. Politische Verschiebungen und Unsicherheit

Das derzeitige sozioökonomische Umfeld in vielen Ländern dürfte zu einem Gefühl der Ablehnung oder gar Feindseligkeit gegenüber der amtierenden Regierung beitragen, was in Wahlperioden auch im wirtschaftlichen Umfeld zu Unsicherheiten und Unbeständigkeit führt. Die Tendenz zum Populismus, die mindestens seit 2010 zu beobachten ist, wurde Ende 2023 durch die Wahlerfolge von Geert Wilders und Javier Milei in den Niederlanden bzw. in Argentinien noch einmal unterstrichen. Infolgedessen ist es noch schwieriger vorherzusagen, welche Richtung die jeweilige Regierungspolitik einschlagen wird. Die soziale und politische Verwundbarkeit in Europa nimmt rapide zu und die bevorstehenden Wahlen – insb. zum Europäischen Parlament – werden einen fruchtbaren Boden für antieuropäische ex-tremistische Bewegungen bilden.

Darüber hinaus werden in einigen EU-Mitgliedstaaten nationale Wahlen abgehalten: Österreich, Kroatien, Litauen, Rumänien und Belgien. Finnland, Portugal und die Slowakei haben bereits gewählt.

2. Soziale Unruhen

Ein zweites Risiko ist die mögliche Eskalation sozialer Unruhen, die durch steigende Preise, das schwindende Vertrauen in die Politiker und die weitverbreitete Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler angeheizt werden. Die steigende Inflation und die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums haben Missstände – allen voran das Misstrauen gegenüber Institutionen – verstärkt, die schon lange vor der Corona-Krise unter der Oberfläche brodelten. Es ist gut möglich, dass die bevorstehenden Wahlen in mehreren Teilen der Welt ein Umfeld für Massendemonstrationen schaffen.

So könnten 2024 in bis zu 17 afrikanischen Ländern Wahlen stattfinden, auf dem Kontinent mit dem ohnehin höchsten Durchschnittswert beim „Social and Political Vulnerability Score“ und dem größten Anstieg innerhalb eines Jahres. Diese Dynamik passt zur politischen Instabilität, die zahlreiche afrikanische Länder in den vergangenen Jahren erlebt haben und die sich in Putschen und langwierigen Konflikten äußerte. Die jüngste Verschiebung der Präsidentschaftswahlen im Senegal ist ein gutes Beispiel dafür. Es wird auch wichtig sein, den Wahlprozess in asiatischen Ländern wie bspw. Sri Lanka genau zu beobachten – das zeigen auch die jüngsten Ereignisse rund um die Wahl in Pakistan.

3. Geopolitische Risiken

Die Pattsituation im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, die zunehmenden Spannungen im Nahen Osten und die Erweiterung der BRICS-Staaten um fünf neue Mitglieder (Saudi-Arabien, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Äthiopien und Iran) machen deutlich, dass sich der Umbruch beschleunigt, der durch die tiefgreifende Infragestellung der Weltordnung und der „westlichen Modelle“ vorangetrieben wird.

Vor diesem turbulenten geopolitischen Hintergrund kommt einigen dieser Wahlen eine besondere Bedeutung zu. Der jüngste Triumph der DPP in Taiwan hat nicht nur Auswirkungen auf die 24 Millionen Einwohner der Insel und die Beziehungen zwischen beiden Seiten der Formosastraße, sondern auch auf die globale geopolitische Dynamik insgesamt. Bei den Wahlen in Mexiko und Indien, zwei der bevölkerungsreichsten Länder der Erde, wird eine der wichtigsten Fragen sein, welche Position sie auf der Weltbühne künftig einnehmen werden. Kurzum: Der dicht gedrängte Wahlkalender für 2024 wird die Weltordnung für die kommenden Jahre prägen.

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