Die Zeit, in der die globalen Lieferketten leise und verlässlich, stets auf der Suche nach Effizienzsteigerungen und Kostenvorteilen vor sich hin arbeiteten, scheint nach mehreren von Pandemien, geopolitischen Spannungen und sogar von Krieg bestimmten Jahren erstmal vorbei zu sein.

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Die Tatsache, dass Vietnam nunmehr im Zentrum vieler Lieferketten steht, kann nicht bestritten werden: 2022 gab es ein Wirtschaftswachstum von über 8%, mehr als 25 Mrd EUR ausländischer Direktinvestitionen flossen in das Land (ein Zuwachs von über 10% im Vergleich zu 2021). Die Investoren kamen meist aus Asien. Europäischer Spitzenreiter war Dänemark durch eine Großinvestition des weltbekannten Herstellers von Spielzeug-Bauklötzen.

Globaler Trend: Hinwendung zur Regionalisierung

Ein globaler Trend, von dem Vietnam profitieren kann, ist eine Hinwendung zur Regionalisierung, also die lokale Bedienung von Abnehmern eines Produkts: Das Werk, das den chinesischen Markt beliefert, steht in China, die Produktionsstätte für Südostasien in Vietnam, Thailand oder Malaysia. Dies kann logistische oder operative Vorteile haben und schützt vor geopolitischen Risiken durch Diversifizierung: Ist ein Land oder eine Region von geopolitischen Spannungen betroffen, kann die Produktion teils verlagert werden.

Viel berichtet wird ebenfalls vom vermeintlichen Exodus produzierender Unternehmen aus China. Insb. im USA-Geschäft gibt es vielfältige Risiken durch plötzlich auftretende Importtarife oder Restriktionen im Hinblick auf die Verbringung von US-Technologien nach China. Auch die geopolitischen Risiken sind hier zu beachten, also die potenzielle Sanktionierung der chinesischen Produkte wegen Beijings Russland-Nähe oder wegen etwaiger Spannungen um Taiwan.

China als Produktionshochburg

Die Realität scheint vielmehr zu sein, dass China für viele Unternehmen unverzichtbar bleibt und zwar wegen der dort schon seit vielen Jahren ansässigen Produktionsstätten, die qualitativ hochwertige Produkte effizient herstellen. Auch ist der chinesische Markt für viele Unternehmen so groß, dass er nicht effizient aus dem Ausland bedient werden kann. Nichtsdestoweniger hinterlässt der Wunsch vieler Unternehmen, die eigene Lieferkette nicht ausschließlich von China abhängig zu machen, eine Lücke, die von einigen südostasiatischen Ländern und insb. Vietnam geschlossen wird.

Lokal kann das Land durch relativ niedrige Kosten überzeugen, wobei auch hier die Preise für gewerbliche Immobilien und Gehälter anziehen. Vietnam ist politisch vergleichsweise stabil, was eine belastbare Planung ermöglicht. Die Rahmenbedingungen für ausländische Direktinvestitionen sind weitgehend liberalisiert, ohne dass in den meisten Bereichen lokale Partnerschaften erforderlich wären.

Vielfältige Handelsverträge

Das Land profitiert vom Freihandelsabkommen mit der EU (EVFTA), aber auch von den ASEAN-Verträgen. Dies macht Vietnam als Produktionsstandort v.a. dann interessant, wenn in die EU exportiert werden soll, aber auch wenn die in Vietnam hergestellten Güter ihre Abnehmer in Südostasien finden sollen. Allen voran im Hightechsektor, aber auch in der Softwareentwicklung bietet Vietnam proaktiv steuerliche Vorteile für Unternehmen, die im Land aktiv werden wollen. Üblicherweise besteht diese in einer befristeten Befreiung von der Körperschaftsteuer mit einem folgenden Rabatt auf den anwendbaren Steuersatz. Auch außerhalb dieses Sektors sind Anreize verfügbar, wenn sich Unternehmen in einem sozioökonomisch benachteiligten Landesteil ansiedeln. Dies kann sinnvoll sein, wenn keine hochqualifizierten Mitarbeiter benötigt werden und mit einer weniger entwickelten Transportinfrastruktur umgegangen werden kann.

Dagegen ist es in Vietnam anders als etwa in Thailand oder Malaysia schwierig, lokale Lieferanten zu finden, die die gewünschte Qualität und Quantität zum vereinbarten Zeitpunkt verlässlich liefern können. Gleichzeitig ist aber auch hier eine dynamische Entwicklung zu erkennen, sodass das Problem voraussichtlich in den nächsten Jahren gelindert werden kann: Die Produktion in Vietnam fokussiert sich mehr und mehr auf die Herstellung von elektronischen und elektrischen Geräten und den Maschinenbau, was mittelfristig zu verbesserten lokalen Lieferketten führen sollte. Die Infrastruktur lässt ebenfalls vielerorts zu wünschen übrig. Trotz der im regionalen Vergleich relativ verlässlichen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen kommen intransparente Verwaltungsentscheidungen im Einzelfall vor.

Wie lässt sich die Produktionsstätte am besten zoll- und umsatzsteuerrechtlich abbilden?

Auch erfordert die Einbindung einer vietnamesischen Produktionsstätte in die Lieferkette einer Firma sorgfältige Planung. Je nach Geschäftsmodell und Komplexität der jeweiligen Lieferkette stehen verschiedene Modelle zur Verfügung, um die jeweiligen Transaktionen aus zoll- und umsatzsteuerrechtlicher Sicht abzubilden. So kann es abhängig vom Volumen der Transaktionen wirtschaftlich einen Unterschied machen, ob die Umsatzsteuer erhoben und erstattet wird oder gar nicht erst anfällt. Man wird ebenfalls sehen müssen, ob vietnamesische Unternehmen (inkl. der dortigen Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen) von den erhöhten Anforderungen an Lieferketten, wie nun im deutschen Lieferkettengesetz oder künftig in einem europäischen Pendant, profitieren werden oder nicht.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die grundlegenden Mechanismen der Lieferketten immer noch gelten. Globale Lieferketten gehören nicht der Vergangenheit an, sie folgen lediglich angepassten Anforderungen. Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen müssen sie flexibel auf wirtschaftliche und geopolitische Herausforderungen reagieren können. So macht Reshoring Sinn, wenn etwa die Transportkosten hoch sind. Alternative Standorte hingegen sind zu betrachten, um von den Bestimmungen von Freihandelsabkommen zu profitieren. Dies führt wiederum zur Diversifizierung von Standorten, wobei Vietnam für viele deutsche Unternehmen eine interessante Option darstellen kann.

michael.wekezer@roedl.com

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