Der 15. Kongress Länderrisiken von Coface war dominiert von den vielen aktuellen Krisenherden auf der Welt. Durch Pandemie und Krieg ist der bedenkliche Klimawandel etwas in den Hintergrund gerückt. Dabei läuft uns auch hier die Zeit davon, wie die Referentinnen und Referenten Mitte Mai in Mainz deutlich machten.

Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)

Klima, Krisen, Katastrophen – und ein bisschen Optimismus. In etwa so könnte man die thematische Gemenge­lage bei der 15. Auflage des erstmals hybrid ausgetragenen Coface-Kongresses Länderrisiken in Mainz zusammenfassen. „Die Welt hat sich gewandelt“, sagte der aus Paris zugeschaltete Coface-CEO Xavier Durand zu Beginn und meinte damit allen voran die Auswirkungen der Pandemie und den Ukraine-Krieg. „Ich erwarte mehr Volatilität, mehr Unsicherheit – auch und vor allem in Schwellenländern.“

Aus der Perspektive der Umwelt

Lieferkettenengpässe und hohe Energiepreise sind beileibe nicht das einzige Problem der globalen Wirtschaft. Der Klimawandel ist schon seit Längerem ein entscheidender Faktor, der sich häufig negativ auswirkt. Politökonomin Prof. Dr. Maja Göpel ging in der Keynote darauf ein. „Ich spreche aus der Perspektive der Umwelt. Wir Menschen sind Bestandteil der Natur. Wir haben mit Blick auf die ökologischen Veränderungen schon vor Corona und der Ukraine von einer Hochrisikogesellschaft gesprochen“, gab die Transformations- und Nachhaltigkeitsexpertin zu bedenken. „Indem wir mehr und mehr für die Menschheit geschaffen haben, haben wir immer weniger Ressourcen zur Verfügung.“ Sie wies in diesem Zusammenhang auf den „German Overshoot Day“ hin, der 2022 bereits am 5. Mai erreicht worden ist.

Politökonomin Prof. Dr. Maja Göpel

Politökonomin Prof. Dr. Maja Göpel. ©Yves Otterbach/Coface

Die zentrale Frage lautet Göpel zufolge: „Wie können wir die Bedürfnisse der Menschen so befriedigen, dass die Ressourcen pro Kopf ausreichen, damit es nachhaltig ist?“ Man müsse dankbar sein, dass sich manche der genutzten Ressourcen selbst wieder herstellten. Sie führte Wasser und Holz als Beispiele auf. Demgegenüber gebe es auch viele endliche Bodenschätze. „Ziel muss es sein, eine langfristige Versorgungssicherheit hinzubekommen“, erklärte die Bestseller-Autorin. „Wir müssen die Strategie der Bedürfnisbefriedigung so justieren, dass wir dem Planeten nicht so viel Neues entziehen.“ Das könne am besten in einer Kreislaufwirtschaft gelingen. Göpel nannte in diesem Zusammenhang Leasing-Modelle oder eine Holzbauweise und sprach sich auch für Nudging aus.

Mit Blick auf den ökonomischen Wettbewerb sollten die Unternehmen, die nachhaltige Lösungen vorantreiben, von den Marktbedingungen nicht systematisch ausgebremst, sondern unterstützt werden, forderte die Wissenschaftlerin. Diese Idee eines „transformativen Staates“ gewinne unter der neuen Bundesregierung durchaus an Rückhalt. Am Ende ihres Keynote-Vortrags stellte Göpel das Konzept des ehrlichen Bilanzierens vor. Es sei eine zentrale Stellschraube, die Wert- und Schadschöpfung hinter den Endpreisen, bspw. von Fleisch, transparenter darzustellen. „Und dann können wir sagen, dass wirtschaftlicher Erfolg auch wieder mit dem Erreichen unserer gesellschaftlichen Ziele zusammenfindet.“

Mehr Nachhaltigkeit geht nicht

Die drei anderen Vertreter der daran anschließenden Paneldiskussion haben das ebenfalls längst erkannt. Benjamin Mandos, Gründer des Mainzer Start-ups Got Bag, hat nach eigenen Angaben die weltweit ersten Rucksäcke aus Meeresplastik entwickelt. Mehr Nachhaltigkeit geht nicht. Durch Ladenschließungen im Einzelhandel, Lieferkettenunterbrechungen und Lockdowns in wichtigen Zulieferländern wie Indonesien bekommt Got Bag die Krisen dieser Welt direkt zu spüren. „All das führt immer wieder zu Verzögerungen und Problemen. Wir fühlen uns wie im Schleudergang“, erklärte Mandos. Im Hinblick auf die aktuelle Gemengelage und steigende Preise habe er die Befürchtung, dass sich Kaufentscheidungen verändern könnten und „die Menschen ihren Fokus nicht mehr so stark auf nachhaltige und somit potenziell teurere Produkte setzen“.

Im Einklang mit der Natur agiert ebenso der Zulieferer Plastro Mayer auf der Schwäbischen Alb. Das Trochtelfinger Unternehmen stellt Tag für Tag unter Beweis, dass auch Plastikprodukte wie Stecker nachhaltig sein können. Dafür steht Isabel Grupp als Geschäftsführerin in nunmehr dritter Generation. Natürlich gehen auch an Plastro Mayer die Einschläge in diesen Zeiten alles andere als spurlos vorüber.

Eine Herausforderung für den gesamten Mittelstand

Grupp sprach von erhöhten Krankenständen ihrer Belegschaft, von gestörten Lieferketten sowie gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen. „Es kommen so viele Themen zusammen, die wir im Moment stemmen müssen. Wir sind in einer Situation, in der wir an allen Fronten brennen. Das ist eine Herausforderung für den gesamten Mittelstand“, so Grupp, die auch Landesvorsitzende der Jungen Unternehmer Baden-Württemberg ist. Als klassischer Mittelständler habe man natürlich auch die Möglichkeit und den Vorteil, sehr agil zu agieren. „Wir können ad hoc in den Prozess eingreifen, ohne dass uns Algorithmen dazwischenfunken.“ In der einen oder anderen Konstellation rücke die Wirtschaftlichkeit auch mal in den Hintergrund und es gehe darum, Kunden und Aufträge zu bedienen und als zuverlässiger Partner aufzutreten, sagte die Unternehmerin.

Nicht nur die großen Konzerne, sondern auch die unzähligen Zulieferer der Branche vertritt der Verband der Automobilindustrie (VDA). Dessen Abteilungsleiter „Economic Intelligence & Volkswirtschaft“, Dr. Manuel Kallweit, berichtete auf dem Podium von einem tiefgreifenden Transformationsprozess, in dem sich seine Branche schon seit einiger Zeit befinde – Treiber sei aktuell allen voran die E-Mobilität. „Weltweit war der Marktanteil von Elektromobilität im vergangenen Jahr bei unter 10%. Es liegt also noch eine große Strecke vor uns“, sagte Kallweit und wies darauf hin, dass Deutschland bei E-Autos aus seiner Sicht im internationalen Vergleich gut dastehe.

Abhängigkeit als größtes Risiko

Sowohl die Herstellung als auch der Konsum von Mobilität änderten sich, so Kallweit weiter und nannte allen voran Sharing-Modelle in Städten. „Wir müssen mehr von den Bedürfnissen der Menschen her denken.“ Teilweise mangele es an Alternativen. Gleichzeitig sorgten die Lockdowns in China und der Krieg für viele Probleme, da „die Automobilindustrie auf internationale Wertschöpfungs- und Lieferketten angewiesen ist“. Hierzulande sei man besonders abhängig von Russland. „Wir alle müssen unseren Beitrag leisten, Energie einzusparen, wo es geht.“ Diese Abhängigkeit sei aktuell das größte Risiko. „Wir müssen uns gut auf eine Gasmangellage vorbereiten.“ Zudem würden die Risiken in Logistik und Lieferketten zunächst wohl eher noch größer als kleiner werden – etwa durch die Containerstaus in China.

Diese Rückstaus beschrieb Coface-Volkswirtin Christiane von Berg auch in ihrem kurzweiligen Vortrag sehr anschaulich. „Der Lockdown in Schanghai mit seinen 25 Millionen Einwohnern ist so, als ob man die Niederlande und Dänemark absperrt, inklusive eines riesigen Hafens“, erklärte von Berg. „Alleine in Schanghai beläuft sich der Schiffsstau im Mai auf über 500 Schiffe. Damit sind Lieferkettenprobleme auch im Jahr 2023 garantiert.“ Weil China lange nur sehr niedrige Infektionszahlen ausgewiesen hatte, bezeichnete die Volkswirtin die Rückkehr der Pandemie in der Volksrepublik als „das vergessene Risiko“.

Hohe Inflationsraten als schwer kalkulierbares Risiko

Die weltweit hohen Inflationsraten treffen Verbraucher und Unternehmen gleichermaßen. Von Berg wies darauf hin, dass die Preissteigerungen bereits im vergangenen Jahr den Zielwert der Europäischen Zentralbank von 2% übertroffen hätten. „Aktuell liegt die Inflation im Euroraum bei 7,4%. Dieser Wert wurde zuletzt 1974 erreicht. In der Folge müssen viele Menschen den Gürtel enger schnallen und den privaten Konsum einschränken.“ Weil völlig unklar ist, wie es mit den Inflationsraten weitergeht, bewertete von Berg dieses Risiko als „schwer kalkulierbar“.

Demgegenüber als das „offensichtlichste Risiko“ sah die Ökonomin den Krieg in der Ukraine. Die wirtschaftlichen Folgen hat Coface in einer Studie zutage gefördert (siehe ExportManager 4/22). Deutschland sei auch hier mit im Boot. „Das, was wir handeln, kann man eben schlecht ersetzen. Wenn der Kabelbaum aus der Ukraine fehlt, dann können wir das Auto nicht ausliefern – selbst wenn es ansonsten komplett fertig ist. Hinzu kommt in vielen Ländern die hohe Energieabhängigkeit,“ berichtete von Berg. In puncto Branchen sieht der global agierende Kreditversicherer derzeit die Wirtschaftszweige Textil, Pharma und IuK-Technologien in Deutschland am besten aufgestellt. „Im Gegensatz dazu ist die Lage in Branchen wie Bau, Chemie, Transport und Energie nach wie vor angespannt.“

Resilienz und Agilität gefragt

Jetzt seien Resilienz und Agilität gefragt sowie die Fähigkeit, schnell auf sich verändernde Situationen zu reagieren, hatte Xavier Durand am Anfang noch gesagt. „Genau das ist die DNA von Coface. Wir treffen täglich 10.000 Kreditentscheidungen auf der ganzen Welt, damit unsere Kunden die besten Geschäftsentscheidungen treffen können.“ Sein Unternehmen sei auch in diesen Zeiten ein starker Partner, weil man spezialisiert sei und Expertinnen und Experten in allen Ecken der Welt habe. „Es ist allerdings sehr schwierig zu prognostizieren, wie es weitergeht.“ Was das konkret bedeutet, sollte später Katarzyna Kompowska, bei Coface verantwortlich für Nordeuropa, wie folgt beschreiben: „Wir sind und bleiben am Puls der Wirtschaft. In Szenarien zu denken ist wichtig. Noch wichtiger ist es, dass man in der Lage ist, agil auf jedes Szenario zu reagieren.“ Prognosen würden in diesen Zeiten nur ungern gemacht, Risikobewertungen blieben trotzdem ein ganz wichtiger Faktor.

Katarzyna Kompowska, Coface-CEO für Nordeuropa

Katarzyna Kompowska, Coface-CEO für Nordeuropa. ©Yves Otterbach/Coface

Gegen Ende des offiziellen Teils des diesjährigen Kongresses folgte das Spotlight-Format, bei dem je zwei Experten zu drei Themen Stellung bezogen. Achim Haug, Direktor bei Germany Trade & Invest, sprach sich für eine Diversifizierung und Regionalisierung von Lieferketten aus, um Abhängigkeiten zu minimieren. Risknet-Geschäftsführer Frank Romeike empfand es als sehr bedenklich, dass geopolitische Debatten in der Vergangenheit so gut wie nicht stattgefunden hätten. Aufgrund der vielfältigen Risiken sagte Marie-Thérèse Pfefferkorn, Teamleiterin bei MBI Infosource, dass bei den Energiepreisen noch „Luft nach oben“ sei. „Um in diesem Bereich unabhängig von Russland zu werden, muss man sich jeden neuen Partner genau ansehen.“

Tobias Annen von Rödl & Partner regte an, genau auf die Hochinflationsländer in Südamerika und die Türkei zu blicken, um von deren Know-how zu profitieren. „Darüber hinaus rücken Preisverhandlungen mehr und mehr in den Fokus und sollten strategisch und auf höchster Ebene vorbereitet werden.“ Für die kommenden Monate prognostizierte Gregor Wolf vom Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen ein weiteres „Auseinanderdriften“ der Wirtschaftssysteme und divergierende Gesetzgebungsprozesse, die für Unternehmen kaum noch in Einklang zu bringen seien. Bernhard Bartsch vom Berliner Mercator Institute for China Studies vertrat die Meinung, dass das Konzept des „Wandels durch Handel“ nicht mehr tragbar sei. „Man muss die Abhängigkeiten von China, die deutlich komplexer sind als die von Russland, schonungslos analysieren.“

Unternehmen sorgen vor

Im abschließenden Workshop am Nachmittag verbreiteten die Protagonisten bei allen Sorgen durchaus auch Optimismus. Denn die allermeisten der hiesigen Unternehmerinnen und Unternehmer scheinen in puncto Risiko gut Vorsorge betrieben zu haben. Dafür spricht auch, dass die Zahl der Insolvenzen in Deutschland (noch) sehr gering ist.

Der nächste Coface Kongress Länderrisiken findet am 4. Mai 2023 statt.

Aktuelle Beiträge

Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner