„China Plus One“ heißt die Devise auch deutscher Unternehmen, die nicht von der Volksrepublik abhängig sein wollen. Oben auf der Liste möglicher Investitionsziele steht Vietnam. Was deutsche Mittelständler dort erwartet.

Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)

China bleibt auf absehbare Zeit der wichtigste Markt in Asien. Doch politische Konflikte und schwächere Wirtschaftsprognosen führen bei vielen deutschen Unternehmen zu einer neuen Risiko-Chancen-Bewertung der China-Engagements. Dabei geht es nicht darum, die Volksrepublik zu ersetzen, sondern die einseitige Abhängigkeit durch einen weiteren Investitionsschwerpunkt in der Region zu reduzieren und damit ein zweites Standbein aufzubauen. „China Plus One“ heißt diese Strategie, die v.a. drei Länder in den Fokus rückt, die alle günstige Produktionsbedingungen und Absatzchancen vor Ort und in der Region bieten: Indien als bevölkerungsreichstes Land der Welt, Thailand mit seinen langjährigen Verbindungen zur westlichen Supermacht USA – und Vietnam.

Vietnam hat nicht nur geografische und historische Berührungspunkte mit China, sondern steht dem nördlichen Nachbarn auch wirtschaftspolitisch nah. Die Kommunistische Partei Vietnams, die das Land seit Kriegsende allein regiert, hat sich ebenfalls dem Handel geöffnet und marktwirtschaftliche Reformen („Doi Moi“-Politik) durchgeführt. Es gibt aber auch spürbare Unterschiede zu China, betont Huynh-Buu Quang vom Regionalbüro der Deutschen Bank in Ho-Chi-Minh-Stadt: „Ausländische Investoren werden mit offenen Armen empfangen. Die Führung des Landes hat ein großes Interesse daran, dass sich Unternehmen aus dem Ausland in Vietnam wohlfühlen.“

Nicht Ersatz, sondern Zusatz

Eine Alternative zu China kann das (knapp) 100-Millionen-Einwohner-Land nicht sein. Doch in China haben sich in der vergangenen Dekade die Löhne verdreifacht, und unerwartete Politikwechsel sorgen für Schockwellen unter Investoren. Zuletzt haben die anhaltenden rigiden Corona-Lockdowns Lieferketten belastet und zum Abwanderungswunsch vieler Ausländer geführt. Mit einer Ansiedlung in Vietnam diversifizieren deutsche Firmen ihre Risiken und können Kosten senken.

Bereits seit 1992 investieren deutsche Unternehmen in Vietnam. Zu den ersten Unternehmen gehörten das Textilunternehmen Bültel und der Outdoor-Ausrüster Tatonka. Doch erst nach dem WTO-Beitritt des Landes 2007 und der Verabschiedung des neuen Unternehmens- und Investitionsgesetzes 2015 sind die Direktinvestitionen stark gestiegen. 3,1 Mrd USD wurden bislang in knapp 500 Projekte investiert. Zu den größten Investoren vor Ort gehören heute Bosch, der Versicherer HDI, der Pharmakonzern Stada und Messer Industriegase. Auch B. Braun, Schaeffler und Knauf sind vor Ort. Kärcher hat im Frühjahr 2023 mit dem Bau einer Produktionsstätte für rund 22 Mio USD begonnen, die noch in diesem Jahr eröffnet werden soll. Pepperl+Fuchs nutzt einen 15-Mio-EUR-Kredit der Deutschen Bank, um eine Fabrik zu finanzieren, die Standards für umweltfreundliche Gebäude erfüllt. Und auch Schaeffler will die Produktion im kommenden Jahr erweitern.

Dienstleistungsunternehmen sind die größte Gruppe der deutschen Unternehmen. Dank eines intensiven bilateralen Handels sind aber auch Maschinenbauer, Textilunternehmen, Chemie- und Nahrungsmittelunternehmen stark vertreten. Knapp 100 Produktionsstätten gibt es, die meisten davon zählen zum Kleidungsbereich.

Konzentration im Süden

Doch auch wenn deutsche Unternehmen manches Problem, das ihnen in China begegnet, nicht kennen – auch Vietnam hat Schwächen. Die Infrastruktur in manchen Landesteilen ist lückenhaft, und zwar von der Straßenanbindung über die Energieversorgung bis zur Zulieferindustrie. Geschlossen werden sollen die Lücken am besten von den ausländischen Investoren selbst – so zumindest die Erwartungshaltung manches Politikers: Die Unternehmen sollen nicht nur in das eigentliche Projekt, sondern auch gleich noch in die erforderlichen Voraussetzungen investieren. Darum verwundert es nicht, dass sich das Gros der Unternehmen allen voran im Süden rund um Ho-Chi-Minh-Stadt, früher Saigon, angesiedelt hat.

Auch die Mehrheit der rund 5.000 Deutschen in Vietnam lebt in Ho-Chi-Minh-Stadt. Im Deutschen Haus finden deutsche Unternehmen mit der Auslandshandelskammer (AHK) und der German Business Association gleich Ansprechpartner vor Ort. Die ehemalige Hauptstadt Südvietnams trägt heute rund 40% zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei. Die jetzige Hauptstadt Hanoi im Norden liegt abgeschlagen dahinter.

Allerdings ist der Standort Ho-Chi-Minh-Stadt nicht günstig: Vergleichbare Büroobjekte sind dort fast 60% teurer als in Hanoi. Weil Bürofläche mit einem guten oder sehr guten Standard knapp ist, müssen Mieter zudem mit jährlichen Mietkostensteigerungen von 8 bis 9% rechnen. Hinzu kommen meist auch noch „Management Fees“, die noch einmal 5 bis 7 USD/qm ausmachen.

Ein Skandal, der vieles ändert

Zuletzt gab es zudem einen großen Immobilienskandal. Die Ex-Chefin einer Immobilienfirma ist laut Anklage für einen Schaden von umgerechnet 25 Mrd EUR verantwortlich, soll 42.000 Menschen betrogen haben und wurde nun von einem Gericht zum Tode verurteilt. Es waren Anleihen ausgegeben worden, um erstklassige Immobilien in Ho-Chi-Minh-Stadt zu erwerben. In der Folge gerieten Bauträger in finanzielle Schwierigkeiten bis hin zur Insolvenz. Der Skandal legte Bestechung und Irreführung von Kleinanlegern, aber auch Risiken in Banken offen. Der Immobiliensektor machte ein Viertel aller Kredite aus. Die Auswirkungen des Skandals waren im ganzen Land spürbar. Hinzu kamen die Schwierigkeiten der Weltwirtschaft: Auch in Vietnam stieg die Inflation, die Exporte sanken. Allen voran die Mittelschicht übt sich in Konsumzurückhaltung. „Der Konsum liegt spürbar unter dem Vorjahr“, berichtet Quang. „Luxusgüter sind besonders betroffen.“

Die Regierung hat seitdem den Anleihehandel stärker reguliert und ihre Antikorruptionsmaßnahmen verschärft. Doch dies hat auch Nachteile: Viele staatliche Stellen schrecken vor raschen Entscheidungen zurück – aus Angst, ein schneller Bescheid sei durch Bestechungsgelder zustande gekommen. So werden manche der gutgemeinten Reformen, die Investitionen insb. der verarbeitenden Industrie anziehen sollen, faktisch ausgebremst.

Hemmnisse: Verzögerungen von Geschäftslizenzen, strenge Brandschutzvorschriften und Umweltauflagen

Deutsche Unternehmen klagen über Verzögerungen von Geschäftslizenzen, strenge Brandschutzvorschriften und Umweltauflagen. „Die Regierung fördert gleichzeitig Investitionen, insb. Hightech-Industrien sollen ins Land kommen“, sagt Quang. Allerdings ist auch in Vietnam der Förderdschungel dicht: Für Ausländer ist es nicht einfach, die zutreffenden Hilfen von Steuerbefreiungen und -vergünstigungen, beschleunigten Abschreibungen oder vergünstigten Landnutzungsbedingungen für sich zu finden.

Ein Selbstläufer ist Vietnam also nicht. Trotzdem resümiert Quang: „China hat den größeren Markt. Aber Vietnam hat das bessere Investitionsklima.“ Ohne die Volksrepublik wird es kaum gehen, Vietnam kann aber für deutsche Unternehmen eine sinnvolle Ergänzung in Südostasien sein. Das Interesse ist jedenfalls groß: Am „FDI-Forum Vietnam“ Mitte November 2023 bspw. nahmen Hunderte deutsche Unternehmen vor Ort und via Internet teil.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank. Den dazugehörigen Link finden Sie HIER

Aktuelle Beiträge

Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner