Eine unfähige Regierung und die Katastrophen der Welt haben das strategisch wichtige Eiland in den Abgrund getrieben. Nun ist guter Rat teuer, denn eine Rettung scheint für das zahlungsunfähige Land in weiter Ferne, obgleich Ministerpräsident Mahinda Rajapaksa am 9. Mai zurückgetreten ist.
Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)
Ein solches Aufstehen eines Volkes gegen seine gewählte Regierung hat die Welt nicht allzu oft gesehen: Nachdem die Politik des regierenden Rajapaksa-Clans Sri Lanka während der Corona-Pandemie in den wirtschaftlichen Zusammenbruch getrieben hat, begehren die Menschen auf. Über Wochen demonstrieren sie, umzingeln die Amtssitze der führenden Regierungsmitglieder und müssen doch zugleich darum kämpfen, wenigstens das Nötigste an Lebensmitteln und Medikamenten zu ergattern. Immerhin haben die vielen Regierungsgegner am 9. Mai ein für sie bedeutendes Etappenziel erreicht. Ministerpräsident Mahinda Rajapaksa hat seinen Rücktritt eingereicht.
Das einstige Ceylon, eine der beliebtesten Ferieninseln und zugleich ein hoffnungsvoller Produktionsstandort mit geostrategischer Bedeutung, ist in den Abgrund getrieben – die Ernten sind miserabel, die Feriengäste bleiben aus, für die Einfuhr gibt es kein Geld, Anleihen werden nicht bedient und eine Lösung zeichnet sich nicht ab. Und das, obwohl die teils nur Tage im Amt befindlichen Minister oder Notenbankmanager fieberhaft mit Geldgebern rund um die Erde verhandeln. Vom Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Weltbank, die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), China bis hin zu Indien ist natürlich niemand daran gelegen, die Insel mit ihren rund 22 Millionen Menschen abdriften zu sehen. Lösungen aber sind schwer zu finden. Sie wurden dadurch noch erschwert, dass die Rajapaksa-Regierung lange von ihrer Macht nicht lassen wollte.
Erster landesweiter Generalstreik
Dabei rückt ihr Kollaps näher. Das jüngste Bauernopfer ist Ministerpräsident Rajapaksa. Mit der Salami-Taktik, Familienmitglied nach Familienmitglied dem Druck der Straße zu opfern, versucht dessen Bruder, Präsident Gotabaya Rajapaksa, wenigstens sich selber an der Spitze des Landes zu halten. Kaum jemand glaubt daran, dass ihm dies gelingen werde. Allerdings sind unter Führung der Familie weite Teile des Landes militarisiert worden, bis hinein in Führungspositionen an den Universitäten. Gleichwohl verloren die Menschen diesmal ihren Mut nicht: Zum Tag der Arbeit sammelten sie sich auf den Straßen und Plätzen zu einem ersten landesweiten Generalstreik.
„Die Leute können sich das Leben nicht mehr leisten. Es gibt kein Mehl mehr, keine Milch. Was noch da ist, halten die Händler zurück, um noch mehr zu verdienen. Ein normaler Arbeiter kann, egal wie fleißig er ist, mit seinem Lohn nicht mehr überleben“, sagt Michael Kreitmeir. Seit vielen Jahren baut der Bayer ein großes Kinderheim auf der Insel auf, finanziert es auch durch ökologischen Landbau. Sri Lankas früherer Präsident Maithripala Sirisena spricht mit Blick auf seine Heimat von „mehr und mehr Tragödien“, die die Menschen durchlebten. „Sie bereiten eine Revolte vor, weil sie die Kosten des täglichen Lebens nicht mehr tragen können.“
Nicht das Leid der Menschen, wohl aber die ökonomische Notlage der Insel lässt sich in Zahlen, Daten und Statistiken fassen. Sri Lanka kann seine US-Dollar-Schulden nicht mehr bedienen – es steckt in einer Zahlungsbilanzkrise. Die Geldgeber werden auf einen Teil ihrer Ansprüche verzichten müssen. Die Regierung hat dem Land den ersten Zahlungsausfall seit der Unabhängigkeit 1948 beschert. Das Erlassen von Zinsen und Schulden aber wäre nur ein erster Schritt, der die Geldgeber teuer zu stehen käme. Denn zugleich muss sehr schnell frisches Geld auf die Insel geholt werden, um Einfuhren bezahlen zu können – die Menschen brauchen Medizin, Treibstoff, Dünger und Lebensmittel wie Milchpulver, die Sri Lanka nicht selbst herstellt. Dieses Geld aber fließt nicht ohne einschneidende Kursänderungen.
Auch ausländische Geldgeber haben erkannt, dass mit den Rajapaksas wohl kein Weg aus der Krise führen wird. Der IWF verhängte harte Konditionen – frisches Geld gibt es im Fall Sri Lankas bspw. wohl nur noch, wenn die Steuern sprunghaft erhöht werden, um die Staatskassen aufzufüllen und welche Regierung auch immer handlungsfähig zu machen. Große Fonds etwa aus Skandinavien wollen Sri Lanka nun zwingen, für weitere Gelder zunächst ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz abzugeben. Die Europäische Union ihrerseits will auch die Menschenrechte stärker in den Fokus rücken; ein Deutscher sitzt bspw. schon mehr als eineinhalb Jahre unter bislang nicht belegten Terrorismusvorwürfen in Colombo im Gefängnis, ohne Aussichten auf einen Prozess. Vielen aus der Opposition Sri Lankas ergeht es noch schlimmer.
Heutige Krise kam mit Ansage
Die heutige Krise kam mit Ansage. Zu keinem Zeitpunkt wusste die Regierung eine Antwort auf die wachsenden Probleme. Dabei waren die Rajapaksas als starke Männer gewählt worden, weil ihnen zugesprochen wurde, den jahrzehntelang währenden Bürgerkrieg mit eiserner Faust beendet zu haben. Die damit einhergehenden Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden bis heute freilich nicht aufgearbeitet – worauf die teils zu großem Wohlstand gekommenen Tamilen im Exil drängen. Um Wähler zu belohnen, halbierte Gotabaya Rajapaksa nach dem Sieg 2019 die Mehrwertsteuer auf nur noch 8%. Andere Steuern strich er ganz. Schon im Wahlkampf hatten die Rajapaksas auch angekündigt, die Agrarindustrie über zehn Jahre auf organischen Anbau umstellen zu wollen.
Vor gut einem Jahr trat Sri Lankas Präsident dann plötzlich das Gaspedal durch: Nun verordnete Rajapaksa der Insel die angedachte Agrarwende über Nacht – einem Land, in dem 90% der Bauern chemische Erntehelfer nutzen und allenfalls ein Fünftel sich mit organischem Ausbau auskannte. Dünger und Pestizide waren ab sofort verboten, Traktoren und Ersatzteile unterlagen sowieso schon einem Einfuhrverbot. Die Bauern waren vollkommen überfordert. „Der Grund“, so sind sich Diplomaten in Colombo sicher, „war einzig und allein die US-Dollar-Ebbe. Die Regierung musste Kredite bedienen und war klamm.“ Kreitmeir erzählt, dass die Bauern sich über Jahrzehnte an subventionierten Dünger gewöhnt hatten. „Das wurde der Regierung zu teuer. Also strich sie ihn.“
Das Eiland im Indischen Ozean, eigentlich reich beschenkt mit Tee, Reis, Fisch, Gummi und Gewürzen, glitt dann in die lodernde Krise, als die Touristen nach den Anschlägen Ostern 2019 und während der folgenden Pandemie ausblieben. Zeitgleich kollabierten die Überweisungen der Gastarbeiter, die ein gutes Viertel der Wirtschaftsleistung der Insel ausmachten. Die Kettenreaktion ließ Sri Lanka in die „schlimmste Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1948“ gleiten, musste selbst die Regierung einräumen. „Die Wirtschaft Sri Lankas ist wie ein altes Gebäude, das baufällig geworden ist. Wir haben Geld für sehr teure Fliesen ausgegeben, aber die Tatsache ignoriert, dass das Dach leckt und die Wände wackeln. Das ganze Haus wird eher früher als später zusammenbrechen, werden die Reparaturen nicht sofort in Angriff genommen“, fasst der Ökonom Umesh Moramudali von der Universität Colombo die Lage zusammen.
Wie geht es weiter mit den Schulden
Anfang Mai brauchte Sri Lanka sofort 3 Mrd USD, um die dringendsten Einfuhren zahlen zu können. Am 25. Juli muss eine Anleihe mit 1,03 Mrd USD zurückgezahlt werden. Insgesamt sind 2022 mindestens 7 Mrd USD Kredite fällig. Der Wert aller US-Dollar-Anleihen beläuft sich auf knapp 13 Mrd USD. Ende März lagen die US-Dollar-Reserven Sri Lankas aber nur noch bei 1,94 Mrd USD. Der Schuldendienst auf die gesamten Verbindlichkeiten der Insel in Höhe von 51 Mrd USD werde zumindest vorübergehend eingestellt, erklärte der erst Mitte April berufene Notenbankgouverneur
P. Nandalal Weerasinghe. Er versuchte die Märkte zu beruhigen, die den Zusammenbruch seit Monaten erwarteten, und sprach zeitgleich von einer bevorstehenden „Einigung mit den Gläubigern und Unterstützung mit einem IWF-Programm“. Die Frist für eine Einigung dürfte er deutlich unterschätzen – denn der Fonds hat Forderungen. Für Kleinigkeiten, so Weerasinghe, sei nun keine Zeit mehr: „Wir müssen uns auf die wesentlichen Importe konzentrieren und uns nicht um die Bedienung der Auslandsschulden kümmern.“ Noch aber ist niemand in Sicht, der ihm dafür das Geld gäbe.