Johannes Flosbach vom nigerianischen Unternehmen Cormart und Andreas Voss von der Deutschen Bank sprechen im Interview über die zahlreichen Möglichkeiten auf dem afrikanischen Kontinent, die Rolle der deutschen Politik, erste Gehversuche in Nigeria und welchen Rat sie hiesigen Unternehmen geben.

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Herr Flosbach, Herr Voss, wir stehen vermutlich vor einem großen Umbau der Weltwirtschaft, durch den Absatzmärkte, aber auch Produktionsstandorte der deutschen Wirtschaft gefährdet sind. Kann Afrika hier einen Ausweg bieten?

Dr. Johannes Flosbach: Das Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden, auch wenn die deutsche Wirtschaft bislang recht zurückhaltend in Afrika auftritt. Das liegt sicherlich auch an der Berichterstattung über Afrika, die oft oberflächlich ist und aus der Distanz geschieht. Dabei hat die afrikanische Wirtschaft durchaus Stärken – die größte ist vielleicht ihre enorme unternehmerische Flexibilität.

Können Sie das an einem Beispiel illustrieren?

Flosbach: Da nehme ich gern meinen eigenen Arbeitgeber: Cormart befindet sich im Besitz eines Holländers, der vor 45 Jahren als Handelsvertreter nach Nigeria kam und rasch lokal zu produzieren begann. Heute haben wir über 11.000 Mitarbeiter und erwirtschaften knapp 1 Mrd EUR Umsatz. Der Durchbruch kam in den 1980er Jahren mit der Franchise-lizenz für Capri-Sonne. Als die Regierung den Import von Orangensaftkonzentrat untersagte, um die heimische Produktion zu fördern, pflanzten wir Orangenbäume. Da sie bis zur ersten Ernte fünf Jahre wachsen müssen, wurden Hühnerställe auf die Fläche dazwischen gestellt. Dadurch entstand der größte Hühnerproduzent Nigerias. Das hat System: Alle 14 Firmen der Gruppe sind nicht strategisch entstanden, sondern immer als Reaktion auf das Marktumfeld.

Andreas Voss: Das Modell von Cormart zeigt das Potenzial von Afrika. Mit dieser Flexibilität können deutsche Konzerne nicht konkurrieren.

Warum sind bislang erst so wenige da?

Voss: Viele deutsche Unternehmen sind nicht aus strategischen Gründen in Nigeria, sondern eher durch Zufallskontakte – erst so langsam sehen wir echte Afrika-Strategien. Mit den Lieferkettenproblemen in Asien und dem Ukraine-Konflikt ist Afrika allerdings nun bei einigen Unternehmen auf der Agenda rasch weit nach oben gerückt.

Flosbach: Viele Unternehmen sehen Nigeria als Exportmarkt, haben aber große Bauchschmerzen, selbst vor Ort aktiv zu sein. Das liegt an den politischen Unsicherheiten, Zahlungsrisiken und Compliance-Sorgen. Wir haben das traditionelle Handelsvertretermodell erweitert, indem wir selbst auch für deutsche Unternehmen vor Ort produzieren. Allerdings funktioniert Afrika nicht für alle: Deutsche Unternehmen bieten oft hochwertige Produkte an, die für die afrikanischen Märkte einfach zu teuer sind. Erfolgreich sind einige Unternehmen aus dem Maschinenbau, wo es durchaus eine Zahlungsbereitschaft für hochwertige Produkte gibt. Wir sprechen hier aber in Nigeria nur über wenige Dutzend Kunden.

Ist das Geschäft denn profitabel?

Voss: Die Margen sind eigentlich immer sehr auskömmlich. Allerdings stehen die Unternehmen vor der Herausforderung, die hier erzielten Gewinne nach Deutschland zu transferieren. In Nigeria soll die Wertschöpfung ins Land zurückgeholt werden, das geht mit Einschränkungen im Kapitalverkehr einher. Leider ist das Problem nicht auf Nigeria beschränkt: Die Devisenbeschränkungen hemmen in vielen afrikanischen Ländern definitiv die Investitionsbereitschaft.

Flosbach: Das beobachten wir auch und bieten darum deutschen Unternehmen den Service an, den gesamten Import zu managen. Wir erwirtschaften selbst Devisen, weil wir auch im Exportgeschäft tätig sind. Dadurch und durch unsere Größe haben wir guten Zugang zur Zentralbank und erhalten einfacher Zuteilungen für Devisen.

Wie wichtig ist eine Absatzfinanzierung für den Erfolg deutscher Unternehmen?

Voss: Das ist eine wesentliche Voraussetzung. Wir stehen hier auch mit anderen europäischen Exportnationen in einem Wettbewerb. Viele EU-Exporteure bringen ganz selbstverständlich eine attraktive Finanzierung mit. Wir dagegen sind mit unserem deutschen Ansatz im Vergleich eher etwas schwerfällig. Wenn wir einige Millionen Euro als langfristige Finanzierung bieten können, sind wir sehr erfolgreich. Leider ist Deutschlands Förderung bislang eher auf das großvolumige Geschäft fokussiert. Es könnte aber sein, dass Afrika von den Kürzungen des Fördergeschäfts in Asien profitiert.

Kommen wir mal vom Export zur Produktion: Die meisten deutschen Unternehmen, die in Afrika produzieren oder produzieren lassen, suchen den Absatz auf den lokalen Märkten. Wann entdecken sie Afrika als Produktionsstandort für global vermarktete Güter?

Flosbach: Wir selbst produzieren in Nigeria nicht allein für den heimischen Markt, sondern exportieren auch. Wir sind allerdings vor allem auf teilweise veredelte Agrarprodukte spezialisiert, da ist die Wertschöpfungstiefe eher gering. Afrika als Produktionsstandort auch für höherwertige Produkte deutscher Unternehmen ist ein sehr lohnendes Ziel, das Potenzial ist aus meiner Sicht gewaltig. Der Weg dorthin ist allerdings noch ziemlich weit.

Woran liegt das?

Flosbach: Die größten Herausforderungen liegen in der Infrastruktur und – das mag zunächst erstaunlich klingen – auch in den Kosten. Die Lohnkosten sind in Afrika sehr niedrig, und Arbeitskräfte sind in großer Zahl verfügbar. Allerdings sind die Kosten für Logistik und Energie vielerorts enorm hoch, sodass die Lohnkostenvorteile dadurch aufgefressen werden.

Voss: Dazu kommt, dass die Sicherheitslage und die Rechtsstaatlichkeit nur selten europäischen Standards entsprechen und auch deutlich unter dem Niveau asiatischer Wettbewerber liegen. Das hält viele deutsche Unternehmen von einer eigenen Produktion in Afrika ab.

Es muss ja nicht unbedingt ein eigener Standort sein. Deutsche Unternehmen könnten doch auch Vorprodukte von afrikanischen Zulieferern beziehen …

Voss: Das stimmt, und das ist absolut eine spannende Perspektive. Man muss aber auch ehrlich hinzufügen, dass sich afrikanische Unternehmen in der Vergangenheit nicht immer durch Qualität und Zuverlässigkeit hervorgetan haben. Das ist für deutsche Unternehmen und ihre Endprodukte aber ein absolutes Muss. Hier ist darum für die afrikanische Wirtschaft noch ein weiter Weg zu gehen. Aber das Potenzial ist zweifellos vorhanden.

Wie kann das Potenzial möglichst rasch gehoben werden? Braucht es eine große Initiative Deutschlands oder der EU?

Flosbach: Die Initiative muss schon von einzelnen Unternehmen kommen. Es braucht aber Unterstützung, und sie muss vor Ort funktionieren. Wir sehen z.B., dass Handelskammern mit kleinen Budgets mehr für das Thema Ausbildung erreichen als große EU-Vorhaben. Erst einmal müssen sich Partnerschaften auf Unternehmensebene entwickeln, dafür braucht es auch unternehmerischen Mut und Geduld.

Voss: Ein bisschen mehr politische Weitsicht wäre aber wünschenswert. Natürlich muss die Initiative aus dem Privatsektor kommen, aber wir brauchen auch eine stringentere Afrika-Politik. Eine so homogene Strategie wie für Asien kann ich nicht erkennen. Stattdessen versuchen wir, den Unternehmen unsere Standards aufzudrücken. Unsere Agrarpolitik ist z.B. überhaupt nicht auf Afrika zugeschnitten. Das ist ein großer Hemmschuh und funktioniert auch nicht – die afrikanischen Länder werden längst von Ostasien, Russland oder dem Mittleren Osten umworben und pflegen vielfältige wirtschaftliche Beziehungen. Niemand wartet hier darauf, sich europäischen Standards zu unterwerfen. Wenn wir das gewaltige Potenzial Afrikas als Absatzmarkt und Produktionsstandort nutzen wollen, dann müssen wir uns auf die Region einstellen – und wir müssen uns beeilen.

Welchen Rat geben Sie deutschen Unternehmen, die Afrika als Absatzmarkt oder Produktionsstandort erschließen wollen?

Flosbach: Mein wichtigster Ratschlag lautet, einen Markt nicht ohne starken Partner vor Ort zu betreten. Ohne lokales Know-how ist es in Afrika extrem schwierig. Viele Unternehmen haben das verstanden, doch sie scheitern bei der Auswahl der richtigen Partner und erleben viele Enttäuschungen. Die Handelskammern leisten hier wertvolle Hilfe.

Voss: Nach meiner Erfahrung müssen Unternehmen vor allem Zeit mitbringen. Der Markteintritt in Afrika dauert in der Regel länger als in anderen Regionen. Außerdem gibt es leider keine Blaupause für die Markteintrittsstrategie, alle Länder sind anders. Hinein- und herausfliegen funktioniert aber nie, es braucht immer die richtigen Leute vor Ort. Und natürlich eine gute Bank.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Johannes Flosbach leitet seit 2016 das Geschäft des nigerianischen Chemie- und Nahrungsmittelunternehmens Cormart, das sowohl in Nigeria produziert und exportiert als auch Waren europäischer Hersteller importiert und vertreibt. Cormart gehört zur TGI-Gruppe, die mit rund 11.000 Mitarbeitern etwa 1 Mrd EUR umsetzt. Flosbach arbeitet seit über zehn Jahren in und für Afrika, u.a. als Strategieberater für Roland Berger und Bain.

Andreas Voss leitet seit 2015 die nigerianische Niederlassung der Deutschen Bank und verantwortet das Trade Finance für die Region Subsahara. Die Deutsche Bank ist seit knapp 50 Jahren in Nigeria vertreten. Voss lebt seit elf Jahren in Westafrika und arbeitete zuvor in Ghana für den staatlichen Entwicklungsfinanzier DEG. Er ist Mitgründer des German Business Club in Lagos.

johannes.flosbach@clicktgi.net

https://cormart-nigeria.com

andreas-a.voss@db.com

www.deutsche-bank.de/ub

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