Die Inflation türmt sich im Euro-Raum zu einem immer größeren Problem auf. Länder wie die Türkei haben schon seit einigen Jahren ihre Erfahrungen mit steigenden Preisen. Auch die Unternehmer haben dort längst reagiert – von Investitionen bis zur Preispolitik, von der Lagerhaltung bis zu den Löhnen.

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Im 60% hat Ismet Koyun die Gehälter seiner Angestellten kürzlich angehoben. Ernsthafte Sorgen bereitet das dem deutschen Multiunternehmer nicht, denn die Lohnsteigerung gilt nur für die Türkei – die hohe Inflation machte das notwendig. Koyun exportiert seine Lebensmittel und seine Software in den Euro- und US-Dollar-Raum. Die schwache türkische Lira sorgt bislang dafür, dass er als Exporteur weiterhin konkurrenzfähig bleibt. Koyun sieht für die Kobil-Unternehmensgruppe sogar die Chance, gute Mitarbeiter an Bord zu holen. „Wir können diese Preissteigerungen dank unserer neuen Produktlinien und unserer innovativen Produkte ohne Probleme bewältigen.“ Sein Unternehmen könnte damit relativ gesehen sogar zu den Gewinnern der Preiserhöhungen gehören. Doch zuletzt ist die Inflation viel stärker gestiegen, als die Lira im Vergleich zu US-Dollar und Euro an Wert verloren hat. Darum könnte auch auf Exporteure wie Kobil der Druck wachsen. Zuletzt lag die türkische Inflation bei über 50% und überschritt damit die Schwelle zur Hyperinflation.

Von solchen Entwicklungen sind wir in der Euro-Zone weit entfernt, auch wenn die zurückliegenden Quartalswerte deutlich über dem langjährigen durchschnittlichen Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2% lagen – und die durch den Krieg in der Ukraine stark gestiegenen Energiepreise und Probleme in den Lieferketten das allgemeine Preisniveau weiter in die Höhe treiben dürften. Eine Katastrophe ist das nicht. „Mit Inflationsraten von 8 bis 10% sollten deutsche Unternehmen noch zurechtkommen, solange sie nicht dauerhaft auf diesem Niveau bleiben“, sagt Christian Wietoska, der als Leiter Research CEEMEA (Mittel- und Osteuropa, Nahost und Afrika) für die Deutsche Bank auch die Entwicklungen in der Türkei genau beobachtet. Dennoch stehen deutsche Unternehmen schon jetzt vor ähnlichen Entscheidungen wie türkische Firmen.

Wird es meinem Unternehmen gelingen, die Preise ausreichend anzuheben?

Ganz oben steht die Frage: Wird es meinem Unternehmen gelingen, die Preise ausreichend anzuheben – oder verliere ich dann Kunden? Eine aktuelle Befragung der auf Pricing spezialisierten Beratung Simon-Kucher & Partners zeigt, dass erst knapp die Hälfte der deutschen Unternehmen gestiegene Einkaufs- und Herstellkosten per Preiserhöhung an ihre Kunden weitergegeben hat. Gerade kleinen und mittleren Unternehmen fällt es schwer, Preise anzuheben, weil ihnen die Marktmacht fehlt.

Koyuns Kobil Group hat mittlerweile mit ihren Kunden Preise vereinbart, die nur noch ab Fabrik gelten. Das Teuerungsrisiko in der Logistik hat er damit erfolgreich an seine Kunden übertragen. Auch in anderen Bereichen werden höhere Preise akzeptiert, bspw. bei Rohstoffen. Durch Preisgleitklauseln für bestimmte Rohstoffe können die Hersteller ihre Risiken minimieren. Besonders Steigerungen bei Rohstoffen, die in der öffentlichen Diskussion stehen, können einfacher weitergegeben werden, haben Unternehmer erlebt. In anderen Bereichen haben längerfristige Verträge jedoch auch bislang eine Preiserhöhung verhindert, bspw. im Lebensmitteleinzelhandel.

Analyse der Kostenpositionen

Wie flexibel Preise gestaltet werden können, hängt von vielen Faktoren ab. Wer selbst langfristig kalkulieren muss (wie z.B. Anlagenbauer), wird ein großes Interesse an langfristigen Zusicherungen haben. Abnehmer von Waren, die im Lager vorgehalten werden können, dürften je nach eigener Lager- und Liquiditätssituation an kurzfristigen oder flexiblen Verträgen interessiert sein. Wenn die höheren Herstellkosten nicht weitergegeben werden können, bleibt dem Unternehmen nur, die eigenen Kosten zu senken. Damit es nicht beim Einmaleffekt bleibt, sollten die Kostenpositionen nach strategischen Gesichtspunkten analysiert werden. So raten bspw. Jason Heinrich und Simon Henderson von Bain & Company, auf nicht strategische Ausgaben grundsätzlich zu verzichten – bis hin zur Aufgabe ganzer Produkte und Leistungen.

Zu den gleichen Kosten mehr produzieren – oder bei geringeren Kosten den gleichen Output erzielen, das wird oft eine höhere Produktivität erfordern. In Deutschland sind besonders die Mitarbeiter ein sehr wichtiger Kosten- und Produktivitätsfaktor, der angesichts arbeitsrechtlicher Grenzen selten ad hoc zu beeinflussen ist. Auf Kurzarbeitergeld können Unternehmen (falls die Ukraine-Krise nicht zu einer deutlichen weiteren Verschlechterung in den Unternehmen führt) bislang kaum setzen. Zudem sind die relativ teuren Fach- und Führungskräfte nicht leicht zurückzuholen, sobald ein Ende der Inflation absehbar wird. Während in der Türkei kleine und mittlere Firmen Personalkosten durch vergleichsweise günstige, gering qualifizierte Arbeitskräfte aus Afghanistan oder Syrien niedrig halten konnten, kamen andere um unterjährige Gehaltserhöhungen nicht herum. Beide Entwicklungen sind in Deutschland nicht abzusehen.

Finanzierung wird zum Problem

Mittelfristig dürften Einstellungsstopps bei einem gleichzeitigen Ausbau der Automatisierung ein Schlüssel zu höherer Produktivität sein. Automatisierung – bspw. in der Produktion, aber auch durch bessere IT-Systeme in der Beschaffung oder im Lagermanagement – erfordert aber meist Investitionen. Diese zu finanzieren, wird bei höherer Inflation nicht einfacher. Steigende Zinsen, wie sie eine typische Reaktion der Notenbanken sind, verteuern die Finanzierung. Zugleich fürchten Geldgeber bei steigender Inflation, am Ende einer längeren Laufzeit Geld zu verlieren. Schließlich könnte die Inflation die Zinsen komplett auffressen und sogar noch übersteigen. Zugleich ist unsicher, ob sich die Investition überhaupt rentieren wird, weil insgesamt steigende Preise den Konsum drücken: Das Unternehmen kann zwar günstiger produzieren, doch der Markt nimmt die Produkte trotzdem nicht mehr ab.

Zu Beginn der Inflationsphase führten die absehbaren Preissteigerungen zu einer Belebung der türkischen Wirtschaft, hat Volkswirt Fatih Akcelik von der Deutschen Bank beobachtet: „Wer konnte, hat die Lager gefüllt, um die Herstellkosten so lange wie möglich gering zu halten. Genauso haben die Konsumenten Vorräte angelegt. Viele Unternehmen haben versucht, ihre Kreditlinie auszuweiten, um mehr Rohstoffe und Vorräte zu beschaffen. Dabei waren vor allem Kredite mit mehrmonatiger Zinsbindung gefragt.“ Auch Investitionen wurden nicht gescheut, v.a. bei Maschinen und Ausrüstung. Nach der Devise: So günstig wird es so schnell nicht wieder. Doch je länger sich die Inflation hinzog und sogar noch anstieg, desto schwächer entwickelte sich die türkische Wirtschaft.

Waren die Lager leer, fiel der Nachkauf zu den deutlich gestiegenen Preisen gerade den kleinen und mittleren Unternehmen schwer. In der Folge kam es auch zu einer Konsolidierung, besonders in den Branchen Mode und Lebensmittel. Die Großen haben die Kleinen, denen das Kapital ausging, geschluckt. „Die international aufgestellten Großunternehmen haben die Inflation genutzt, ihre Position im Markt zu stärken“, sagt CEEMEA-Research-Leiter Wietoska.

Die Treiber der Inflation

Deutschland ist bekanntlich nicht die Türkei – und nicht nur das Ausmaß, auch die Ursachen der Inflation sind (teils) andere. Vor allem die Disruptionen in den internationalen Lieferketten und der durch Corona-Nachholeffekte ausgelöste Nachfrageboom haben die Preise hierzulande verteuert. Doch auch wenn dieser Einmaleffekt nachlässt, kann nicht zuletzt durch die Ukraine-Krise die Inflation länger anhalten. Der Arbeitskräftemangel dürfte die Löhne treiben; die teilweise Rückabwicklung der globalen Arbeitsteilung und die Stabilisierung der Lieferketten sind weitere Gründe für steigende Preise. Und schließlich wurde in den vergangenen Jahren sehr viel Geld ins System gepumpt.

Es ist Zeit für Deutschlands Unternehmen, sich auch strategisch auf steigende Preise einzustellen. Mit Kostenmanagement, Investitionen in Produktivität und vor allem einer Marktpositionierung, die die Weitergabe von Preiserhöhungen erlaubt, können sie sich der neuen Herausforderung Inflation stellen.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank. Den dazugehörigen Link finden Sie HIER

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