Intelligente Fabriken, in denen Maschinen und die Produkte, die sie herstellen, miteinander vernetzt sind: Der Begriff Industrie 4.0 wird auf der HANNOVER MESSE vom 25. bis 29. April erneut in aller Munde sein. Doch während vor allem im Mittelstand noch über Sicherheit und Kosten der sogenannten vierten industriellen Revolution diskutiert wird, bahnt sich in einem anderen Bereich bereits die nächste Revolution an: bei den globalen Finanztransaktionen.

Von Dr. Patrik Pohl, Leiter Mittelstandsprodukte, Deutsche Bank AG

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„Blockchain“ lautet ein Schlagwort, das im Zusammenhang mit innovativen Finanzdienstleistungen immer häufiger genannt wird. Dahinter verbirgt sich de facto eine dezentrale Datenbanktechnologie, die es ermöglicht, dass ein Peer-to-Peer-Netzwerk (P2P) simultan Dateneinträge abrufen, speichern und koordinieren kann. Die im Netzwerk verfügbaren Daten werden statt auf einem zentralen Server über alle im Netzwerk verbundenen Computer als „Blockkette“ gespeichert, während das P2P-Netzwerk diesen Blöcken zustimmen muss. Dies geschieht über ein Konsensprotokoll, welches Eigentumsverhältnisse durch den digitalen Austausch kryptographischer Schlüssel regelt. Fälschungen können dabei mit Hilfe eines „Proof of Work“-Systems weitgehend ausgeschlossen werden, und Dateneinträge sind theoretisch unveränderbar.

Das wohl bekannteste Anwendungsbeispiel einer Blockchain im Finanzbereich ist die digitale Kryptowährung Bitcoin. Kryptowährungen unterscheiden sich von herkömmlichen Währungen da-durch, dass ihr Wert nicht durch einen Gesetzgeber oder eine Institution garantiert wird, sondern durch Vertrauen in die zugrundeliegende Technologie. Die Blockchain-Technologie hinter der Bitcoin-Währung ermöglicht es, dass alle Transaktionen in Blöcken zusammengefasst und dezentral auf einzelnen Computern des Netzwerks gespeichert werden. Zudem werden sie mit den jeweils vorangegangenen Transaktionen verkettet. Daher der Begriff Blockchain („Blockkette“). Diese Verkettung und Abstimmung im Netzwerk generiert das Vertrauen, das eine Einbindung zentraler regulatorischer Gremien nicht notwendig macht.

Der Technologie wird von Finanzexperten weltweit ein großes Potential zugesprochen. Durch deren Anwendung werden sich nicht nur Produkte und Prozesse ändern, sondern auch die Rolle und das Geschäftsmodell von Finanzinstituten. „Die Blockchain-Technologie ermöglicht den schnellen und kostengünstigen Transfer von Vermögenswerten und Finanzprodukten zwischen Individuen, die sich weder kennen noch vertrauen, ohne dass ein Intermediär zur Reduzierung vorhandener Informationsasymmetrien dazwischengeschaltet werden muss“, schreibt Deutsche Bank Research in einer aktuellen Analyse.

In gewisser Weise erinnert der aktuelle Hype um die Blockchain-Technologie an die Frühphase des World Wide Web in den 90er Jahren: Die revolutionäre Energie des Internets war damals schon vielen bewusst, nicht aber, wo und in welchem Umfang sich diese einmal entfalten würde.

Neue Chancen und ­Herausforderungen

Wie damals das WWW und nun Industrie 4.0 oder das Internet der Dinge wirft auch die Blockchain zunächst eine Reihe von Fragen auf. Etwa jene, ob die neue Technologie in der Lage sein wird, ebenso große Volumina abzuwickeln, wie sie derzeit nur Banken und andere Intermediäre verarbeiten. Bei einer Vielzahl von Blockchain-Anbietern im Markt ist allerdings davon auszugehen, dass diese Frage früher oder später mit „Ja“ beantwortet werden könnte.

Größer sind die Herausforderungen auf der juristischen und regulatorischen Seite: Welche rechtliche Relevanz haben im Zusammenhang mit Blockchains sogenannte Smart Contracts, digitale Transaktionsprotokolle, die die Bestimmungen eines Vertrages überwachen und automatisch ausführen? Welche Ansprüche lassen sich einfordern oder gegebenenfalls einklagen? Wie sehen dies die Aufsichtsbehörden, damit die regulatorische Transparenz auch mit Blockchains nicht nur sichergestellt, sondern vielleicht sogar erhöht wird?

Des Weiteren stellt sich die Frage, wie allgemeine Standards und eine funktionierende Marktinfrastruktur gewährleistet werden. Es ist davon auszugehen, dass es zukünftig eine Vielzahl von Blockchains geben wird. Diese müssten jedoch miteinander kommunizieren können, um die Vorteile von Blockchains erfolgreich nutzen zu können. Diese Interoperabilität zwischen den einzelnen Blockchains sicherzustellen ist eine weitere Herausforderung, die der Markt meistern muss.

Den Mehrwert für die Kunden finden

Kurzum: Es gilt zu klären, in welchen Bereichen eine Blockchain-Lösung einen echten Mehrwert bietet, in den der Markt zu investieren bereit wäre. Im bereits hochgradig effizienten, kostengünstigen und systemisch relevanten Zahlungsverkehr scheint ein Business-Case zunächst nicht unbedingt gegeben. Dennoch liegen die Vorteile für die Kunden im Zahlungsverkehr bei ersten „Use-Cases“ auf der Hand: kostengünstiger Service, sofortige Buchung und Standardisierung von Daten. Dies ermöglicht komplette Transparenz und auch eine digitale Anbindung für die Kunden.

Mögliche Anwendungsbeispiele für Blockchain-Lösungen im Bereich der Handels- und Exportgeschäfte gibt es dagegen viele, besonders wenn man diese mit weiteren Technologien wie dem „Internet der Dinge“ kombiniert – als Netzwerk von physischen Objekten, ausgestattet mit Software oder Sensoren, um Daten zu sammeln und auszutauschen. So könnten diese Sensoren zum Beispiel Container orten, die von China nach Deutschland verschifft werden, und bei Erreichen des Zielhafens nach Authentifizierung automatisch eine Zahlung auslösen.

Die einfachere Lokalisierung von Waren und Produkten erlaubt es den Unternehmen auch, ihre Supply-Chain besser zu managen und ihren Bedarf an Handelsfinanzierungsprodukten entsprechend anzupassen. Verbunden mit einer Blockchain, erhält die Firma eine verbesserte Kontrolle und Transparenz über ihre Transaktionen. Zusätzlich werden manuelle Prozesse ersetzt, was zu einer Reduzierung der operativen Kosten führen kann. Großes Potential für Blockchains liegt zudem im Wertpapierbereich, beispielsweise in der konsolidierten Übersicht von „Collateral“-Positionen.

Aus Wettbewerbern werden Partner

Den Durchbruch für erste Lösungen im Wholesale-Bereich kann es nur im engen Austausch mit den Kunden geben. Hier haben Banken einen Vorteil, die sich über eine erstklassige Beratung von anderen Anbietern differenzieren und die in der Lage sind, Investitionen in die neue Technologie zu stemmen.

Fintechs, neue Anbieter, die häufig als Start-ups einzelne Segmente des Finanzdienstleistungsbereichs mit frischen Ideen, innovativen Technologien und einer hohen Dynamik aufmischen, fehlt häufig die Erfahrung im Firmenkundensegment und der entsprechenden Regulatorik. Daher sind Banken und Fintechs oftmals zugleich Wettbewerber und Kunden, sie können aber auch Partner sein. Denn im Schulterschluss können beide Parteien die digitale Zukunft so gestalten, dass sie für alle Beteiligten, vor allem aber für die Kunden, einen echten Mehrwert bietet. Die Deutsche Bank hat bereits in Zusammenarbeit mit zwei Fintechunternehmen in einem internen Projekt eine Unternehmensanleihe über die Blockchain-Technologie begeben und dabei ihren kompletten Lebenszyklus von der Emission über Kuponzahlungen bis zur Tilgung simuliert – mit Erfolg.

Der digitale Wandel wird auch das Banking der Zukunft über alle Kundengruppen hinweg nachhaltig verändern. In welchem Umfang und in welchem Teil der Wertschöpfungskette die Blockchain als Erstes zum Tragen kommen wird, ist derzeit noch nicht klar zu erkennen. Es empfiehlt sich daher, neben Blockchains andere Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren, die sich ähnlich entfalten könnten. Dennoch erwarten wir in den nächsten Jahren erste relevante Praxisanwendungen. Wem es dabei gelingt, Lösungen zu entwickeln, die im Markt breite Akzeptanz finden, hat möglicherweise die Blockchain-Revolution ausgelöst.

Kontakt: patrik.pohl@db.com

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