Brasiliens Konjunktur verläuft weiter schleppend, die Inflation liegt über den Zielwerten, und die Zinssätze zählen zu den höchsten der Welt. Wie verschiedene Indizes zeigen, bleibt das Vertrauen in die brasilianische Wirtschaft gering. Die sowieso schon niedrige Investitionsquote sinkt weiter. Coface geht aufgrund der schwachen wirtschaftlichen Indikatoren davon aus, dass sich die Unternehmen weiter schwertun werden.
Von Dr. Dirk Bröckelmann, Economic Research, Coface, Niederlassung in Deutschland
Restrukturierung und Insolvenzen an der Tagesordnung
Angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen beantragten in den vergangenen Jahren immer mehr Unternehmen gerichtlich beaufsichtigte Umstrukturierungsmaßnahmen, nachdem 2005 Chapter XI als Teil des neuen Insolvenzrechts eingeführt wurde. 2012, als die Industrie um 0,8% schrumpfte, stieg die Zahl der Unternehmen, die das Verfahren in Anspruch nahmen, um 49,5%. 2013 lag der Anstieg bei 17,2%. Obgleich von Mai 2013 bis April 2014 ein Rückgang von 11,5% zu verzeichnen war, ist es noch zu früh, um von einer Erholung zu sprechen.
Neben den Fällen für Chapter-XI-Maßnahmen stiegen 2013 auch die Insolvenzen, und zwar um 5%. In den zwölf Monaten von Mai 2013 bis April 2014 kam es zu einem Anstieg von 3,1%. Zahlreiche Unternehmen nahmen jahrelang die Maßnahmen von Chapter XI in Anspruch, schafften es jedoch nicht, sich zu erholen. Sie tragen maßgeblich zur seit 2012 steigenden Zahl an Insolvenzen bei.
Lebensmittelindustrie am stärksten von Insolvenzen betroffen
Auch spiegelt der Rückgang der Unternehmen, die Chapter XI beantragt haben, nicht die Situation in allen Branchen wider. Abgesehen davon, dass die Rückgänge bei Papier/Holz (–3%), Mineralstoffen (–15%) und Handel (–9%) kaum anhalten werden, ist die Insolvenzsituation in mehreren anderen Branchen – bedingt durch die niedrige Geschäftstätigkeit im Land und die Schwierigkeit, konkurrenzfähig zu bleiben – beunruhigend:
Die Lebensmittelindustrie ist mit einem Anstieg der Insolvenzen von 46% am stärksten betroffen. Dies vor allem deshalb, weil die Unternehmen Chapter XI dazu benutzen, weitergehende finanzielle Turbulenzen zu vermeiden.
Die Textil- und Bekleidungsindustrie hat aufgrund des steigenden Drucks durch importierte Produkte einen Anstieg von 7% zu verkraften.
Im Dienstleistungssektor, der 59% der brasilianischen Wirtschaft ausmacht, stiegen die Insolvenzen zwar lediglich um 2%, doch ist kurzfristig nicht mit einem Rückgang zu rechnen.
Branchen weiter vor großen Herausforderungen
Die chemische Industrie wird wegen ihrer geringen Wettbewerbsfähigkeit voraussichtlich weiter in der Kategorie „hohes Risiko“ bleiben. Die Energiekosten werden weiter steigen, und die Abhängigkeit von importiertem Erdgas wird mittelfristig wohl nicht abnehmen. Die Investitionen bleiben gering, auch weil die Zuversicht fehlt und Investitionen wegen steigender Kreditzinsen (SELIC) für die Unternehmen teurer werden.
Die Automobilbranche hatte einen schwierigen Start ins Jahr 2014. Der Branche machten höhere Steuern, neue Sicherheitsvorschriften und Beschränkungen des Zugangs zum argentinischen Markt schwer zu schaffen. Dennoch sieht Coface die Automobilbranche in der Kategorie „mittleres Risiko“. Gründe dafür sind deren starke Verhandlungsposition und Bedeutung als Steuerzahler. Wir erwarten, dass die Regierung bald ein Förderprogramm zur Belebung der Branche auflegen wird.
Der Agrarsektor wird voraussichtlich auch 2014 aufgrund stabiler Preise und einer etwas besseren Ernte 2013/2014 leicht wachsen. Vorausgesetzt, es gibt keine Wetterprobleme und die Kreditversorgung wird besser, sieht Coface die Landwirtschaft in der Bewertungsstufe „mittleres Risiko“. Allerdings können steigende Kreditzinsen und die schlechte Infrastruktur der Häfen die Rentabilität auch negativ beeinflussen.
Die Stahlbranche hängt wie die anderer Länder auch vom Produktionsvolumen in China ab. Weil Coface erwartet, dass auch 2014 zu viel Stahl produziert wird, werden die Preise kurzfristig nicht steigen. Demzufolge bleibt die Profitabilität der Stahlproduzenten niedrig.
Der Einzelhandel wird stärker als das BIP, aber nicht so schnell wie zuletzt wachsen. Niedrigere Reallohnzuwächse und steigende Zinsen wirken sich in diesem Segment ebenfalls negativ aus. Einzelne Sparten wie der Handel mit TV-Geräten, Smartphones und Tablet-Computern dürften 2014 allerdings kräftig zulegen.
Schwacher Ausblick für die Unternehmen
Die Zahlen für das erste Halbjahr 2014 geben wenig Anlass zur Hoffnung, dass sich das Land bald erholen wird. Das BIP schrumpfte zwei Quartale in Folge. Auch im verbleibenden Teil des Jahres kommt die Wirtschaft nicht in Schwung. Für das Gesamtjahr ist lediglich mit einem Plus von 0,4% zu rechnen. Auch wenn das Wachstum 2015 noch etwas zulegen sollte, wird es deutlich unter dem langfristigen Durchschnitt bleiben.
„Unabhängig davon, wer die Präsidentschaftswahl gewinnt, im nächsten Jahr wird es voraussichtlich eine Reihe von Anpassungen an die relativen Preise der Wirtschaft geben. Die Zinssätze könnten angehoben werden, um den hohen Preisdruck, der durch die Neuausrichtung der Ölpreise und Energietarife entsteht, zu kompensieren. Damit die Geschäftstätigkeit mittelfristig steigen kann, bedarf die Infrastruktur des Landes 2015 dringend der Modernisierung. Noch sieht es so aus, als würde die Konjunktur für geraume Zeit nur sehr langsam vorankommen“, erläutert Patricia Krause, Coface Economist Latin America Region.
Angesichts dieser Wirtschaftsaussichten rechnet Coface nicht damit, dass die Zahl der Insolvenzen bald sinkt.
Kontakt: dirk.broeckelmann[at]coface.de
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