Für 2013/2014 möchte die EU-Kommission Vorschläge für eine Neufassung der Dual-Use-Verordnung (DUV) vorlegen. Bis dahin muss die jetzige Verordnung (EG-VO 428/2009) überprüft werden. Zur Vorbereitung veröffentlichte sie am 30. Juni 2011 ein Grünbuch, um die mögliche Richtung für die Überarbeitung vorzugeben und die betroffene Wirtschaft aufzufordern, sich zu einem Set von 55 Fragen bis zum 31.Oktober 2011 zu äußern. Diese Äußerungen sollen bei der Überarbeitung der DUV berücksichtigt werden.
Von PD Dr. Harald Hohmann, Rechtsanwalt und Partner, Hohmann & Partner
Ausgangsfälle
Das deutsche Exportrecht kennt zahlreiche zusätzliche Genehmigungspflichten, welche andere EU-Länder nicht haben: Wenn der Deutsche D nichtgelistete Güter nach Kuba liefern will, die dort militärisch genutzt werden können, braucht er nach der DUV keine Genehmigung, sondern allein nach deutschem Exportrecht (vgl. § 5c AWV); Gleiches gilt für Lieferungen nichtgelisteter Güter nach Israel, die dort für eine Nuklearanlage verwendet werden könnten – auch hier folgt die Genehmigungspflicht allein aus deutschem Recht (vgl. § 5d AWV). Oder D liefert ein gelistetes Gut nach Frankreich, weiß aber, dass sein französischer Partner F diese Güter nach Algerien weiterliefern will; dann braucht D für die Lieferung von Deutschland nach Frankreich eine Verbringungsgenehmigung nach § 7 Abs. 2 AWV, und F muss sich zusätzlich um eine Ausfuhrgenehmigung der französischen Behörde kümmern.
Es gibt auch Fälle, in denen die Handelserleichterung allein aus deutschem Recht folgt: Wenn D gelistete Güter im Wert von 3.000 Euro nach China exportieren will, kann er dafür die deutsche Allgemeingenehmigung AG 12 nutzen, die für Lieferungen gelisteter Güter bis zu einem Wert von 5.000 Euro gilt. Seine Wettbewerber in anderen EU-Ländern können dies nicht nutzen, weil diese Allgemeingenehmigung nur für Deutschland gilt.
Verstoß gegen die Binnenmarktidee
Dies sind typische Fälle, die eines EU-Binnenmarktes nicht würdig sind und die m. E. auch gegen verschiedene Artikel des EU-Vertrags zum Binnenmarkt verstoßen. Die zusätzlichen Genehmigungspflichten nach §§ 5c, 5d AWV und nach § 7 AWV führen – so unsere Erfahrungen aus zahlreichen Beratungen – dazu, dass zunehmend der Standort Deutschland als Nachteil angesehen wird. Internationale Konzerne gehen häufig dazu über, etwa durch Verlegung ihres Warenlagers in ein anderes EU-Land oder in ein Drittland, die zusätzlichen strikten Exportregelungen Deutschlands zu umgehen.
Obendrein verursachen solche rein unilateralen nationalen Exportregelungen zum einen eine große Menge an Arbeit – bei jedem Intra-EU-Handel (bei den „Verbringungen“) muss der deutsche Exporteur prüfen, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Lieferung in ein Drittland gehen könnte –, und sie sind zum anderen im Zweifel unverhältnismäßig, da in einem EU-Binnenmarkt rein unilaterale striktere Exportkontrollen ihr Ziel – Begrenzung der Proliferation – kaum erreichen werden: Denn die betroffene Wirtschaft wird eher versuchen, in Nachbarländer auszuweichen. Eine einheitliche EU-Exportkontrollregelung ist daher zwingend erforderlich für einen EU-Binnenmarkt.
Der Ansatz der EU für die Reform
Die EU-Kommission möchte eine Priorisierung der Aufgaben der Exportkontrolle erreichen, indem risikobezogene Ansätze gestärkt werden, wobei das Subsidiaritätsprinzip gleichwohl gelten soll. Hierzu sollen gehören: ein gemeinsamer Risikoansatz der EU, ein umfassender und systematischer Austausch über verdächtige Transaktionen, mehr EU-Allgemeingenehmigungen, ein gemeinsamer EU-Ansatz für die Kontrolle nichtgelisteter Güter (sog. Catch-all-Klausel), eine Liberalisierung des Intra-EU-Handels und eine koordinierte Durchsetzung von Sanktionen bei Verstößen. Zweifellos geht dieser Ansatz in die richtige Richtung. An die Stelle rein nationaler Risikobewertungssysteme – z.B. des deutschen DEBBI-Systems – müsste dann ein EU-Risikobewertungssystem treten, das aufgrund der Auswertung seiner Informationen in der Lage ist zu sagen, welche Lieferungen besonders risikobehaftet sind. Nur besonders risikobehaftete Exporte müssten näher untersucht werden, während sonst Stichprobenkontrollen ausreichen.
Gleichzeitig wäre es im Zweifel möglich, auch Risikoprofile von einzelnen Exporteuren zu erstellen, wobei dann zu erwarten ist, dass nachgewiesene Export- oder Zollverstöße negativ und besondere Maßnahmen zur Umsetzung der Export- oder Zollkontrolle – wie etwa eine Zertifizierung als AEO – positiv berücksichtigt werden. Solche Risikobewertungssysteme sind davon abhängig, dass systematisch Informationsaustausch stattfindet.
Dazu soll auf jeden Fall der Austausch über folgende Daten gehören: Details über erteilte Genehmigungen, über Exporteure, über ihre Registrierungen für Allgemeingenehmigungen und über proliferationsverdächtige Unternehmen. Die Idee der sechs EU-Allgemeingenehmigungen wird wieder aufgegriffen – sie sollten ursprünglich mit der Reform von 2009 eingefügt werden –, damit nationale Allgemeingenehmigungen zunehmend beendet werden können. National unterschiedliche Catch-all-Klauseln oder die national unterschiedliche Verfolgung von Verstößen erschweren den Ansatz einer einheitlichen EU-Risikobewertung.
Die nächsten Schritte
Bis zum 31. Oktober soll die betroffene Wirtschaft die 55 Fragen des Green Papers beantworten, damit diese Anmerkungen bei der Überarbeitung der DUV berücksichtigt werden können. 2012 soll ein erster Bericht vorgelegt werden (zunächst ein Bericht über die Ergebnisse der Konsultation und danach ein Bericht für das EU-Parlament), und 2013/2014 sollen Vorschläge für die Überarbeitung der DUV erfolgen.
Resümee
Da auch Fragen zur Bewertung des gegenwärtigen Systems gestellt werden, tragen die Ergebnisse dieser Konsultation zur Ermittlung der Stärken und Schwächen des derzeitigen Systems und zur benötigten Reform der Exportkontrolle bei. Die betroffene Wirtschaft sollte daher unbedingt die Möglichkeit nutzen, ihre Anmerkungen vorzubringen. Die vorgeschlagene Reform der DUV ist zu begrüßen. So passen vor allem Genehmigungen für den Intra-EU-Handel mit Dual-Use-Gütern nicht mehr ins Bild eines Binnenmarktes, zumal mit der Rüstungsgüter-Richtlinie 2009 der Intra-EU-Handel mit Rüstungsgütern für zertifizierte Unternehmen liberalisiert wurde. Es bleibt zu hoffen, dass 2014 dann tatsächlich die sechs EU-Allgemeingenehmigungen eingeführt werden, nachdem dies bei der Reform von 2009 im letzten Moment nicht geklappt hat.
Beispiele aus dem Fragenkatalog
- (4) What is the impact of the foreign availability of certain controlled items on the competitiveness of EU dual-use exports?
- (8) Have you encountered any problems due to differences in the application of export controls across the EU Member States? What was the nature of these problems?
- (11) What is the time needed to obtain an individual or global license?
- (13) What is the usefulness of National General Export Authorisations (NGA) as compared to EU General Export Authorisations?
- (14) How could the benefits of NGAs be extended to exporters established in other Member States?
- (19) How would you improve the application of catch-alls across the EU?
- (20) Have you encountered situations where a catch-all has been imposed for your export transaction, while your competitors continued to trade the same items and possibly to the same end-user or destination? Please describe.
- (21) What is the usefulness of current brokering controls?
- (32) How could the intra-EU transfer control provisions be reformed?
- (33) What is the impact of intra-EU controls on your business and the Single Market? Do these controls affect your competitiveness vis-à-vis exporters from 3rd countries who export to the EU? Please explain.
- (44) What new types of EU General Export Authorisations would you like to see implemented in the EU?
- (45) How do you compare the currently available EU General Export Authorisation EU001 and NGAs, with similar types of authorisations available in third countries (e.g. license exceptions in the US)?
- (50) Would you support the idea of replacing license requirements for intra-EU transfers with a post-shipment verification mechanism?
Hinweis: Das vollständige EU-Grünbuch (20 Seiten) bzw. ein 3-Seiten-Dokument mit den 55 Fragen können Sie durch eine E-Mail an den Autor anfordern.
Kontakt: harald.hohmann[at]hohmann-partner.com