Dass die WTO sich nicht auf ein weltweit einheitliches Ursprungsrecht einigen kann, sollen die europäischen Unternehmen nach dem Willen der EU-Kommission nun ausbaden. Sollte das neue von der EU-Kommission erarbeitete EU-Ursprungsrecht zur Anwendung kommen, droht den Exporteuren ein riesiger zusätzlicher bürokratischer Aufwand mit negativen Folgen für den Außenhandel. Unternehmen und Verbände versuchen das neue Bürokratiemonster abzuwehren. Der Ausgang ist noch ungewiss.
Von Eva-Maria Stolte, Geschäftsfeld International, IHK Frankfurt am Main
Für den Export in rund 150 Länder der Welt müssen Ursprungszeugnisse beantragt werden, da das Exportgut im Empfangsland ansonsten nicht importiert werden kann. Die Rechtsgrundlage zur Ermittlung des Ursprungslands ist seit vielen Jahrzehnten der wirtschaftsfreundliche – weil auszulegende – Artikel 24 des Zollkodexes, der auf die Verarbeitungstiefe abstellt. Die IHK, als zuständige Stelle für Ursprungsentscheidungen, kann in der Regel aufgrund ihrer Kenntnis des Unternehmens und seiner Produktpalette ein Ursprungszeugnis ohne größere Verzögerungen ausstellen.
Nun aber muss eine neue Durchführungsverordnung zum Zollkodex erarbeitet werden, in deren Entwurf sich die Europäische Kommission von Wirtschaftsfreundlichkeit und Flexibilität verabschiedet. Weil auf etwa 0,5% aller Importe in die EU handelspolitische Schutzinstrumente wie Antidumpingmaßnahmen angewendet werden, sollen nun alle Exportländer das EU-Ursprungsrecht anwenden (ec.europa.eu/taxation_customs/customs/customs_duties/rules_origin/index_en.htm(). Das mit dieser Regelung verfolgte Ziel der Generaldirektion Steuern und Zollunion (TAXUD) ist die Einnahmensicherung.
Ein derartiger Einschnitt in die Kompetenzen ausländischer Handelspartner lässt im Gegenzug handelshemmende Maßnahmen für Importe aus der EU durch Drittländer erwarten. Im Exportfall muss dann der europäische Exporteur seine Ware nach dem Ursprungsrecht des Empfangslands beurteilen. Hiervon sind zwischen 20% und 25% aller europäischen Exportlieferungen betroffen.
In der Praxis bedeutet dies, dass bei jeder Exportlieferung zunächst geprüft werden muss, ob der Empfänger für die Verzollung ein Ursprungszeugnis benötigt und, wenn ja, ob es in seinem Land hierfür eigene Rechtsgrundlagen gibt. Wenn diese existieren, müssen sie gefunden, ggf. übersetzt und geprüft werden. Für Hersteller ist dies vielleicht noch möglich, doch internationaler Handel wird wegen der mangelnden Nachweisbarkeit vollständig unterbunden.
Hat das Empfangsland keine eigenen Ursprungsregeln erlassen, soll der Exporteur das europäische Recht anwenden, das in langen Listen für jede Ware starre Kriterien festschreibt, wie sie aus dem Präferenzrecht bekannt sind. Leider weichen die Kriterien jedoch durchgehend von allen Präferenzabkommen ab, das Rad wurde neu erfunden. Die drohenden Auswüchse lassen sich an Beispielen verdeutlichen:
Beispiel 1
Aus der VR China werden Rohlinge als Gesenkschmiedestücke aus einem hochlegierten Chrommolybdänspezialstahl (50 CrMo 4) importiert. Diese Rohlinge werden zur Sicherstellung spezifischer Werkstoffeigenschaften mittels eines Wärmebehandlungsprozesses auf HB 326-336 vergütet. An das Vergüten schließen sich weitere Bearbeitungsschritte wie Drehen und Bohren von Befestigungslöchern an. Die so entstandenen Handläufe für Treppengeländer sollen exportiert werden.
- in die Vereinigten Arabischen Emirate:
Stahlindustrie ist dort praktisch nicht vorhanden, die Technologie zum Vergüten von Stahl fehlt ebenfalls. Die anzuwendende Ursprungsregel lautet: „Ursprung verleihen Zerspanungsprozesse an vergütetem Stahl.“ Beim Export in die VAE kann der Ursprung „Europäische Union“ bestätigt werden, da sowohl das Vergüten als auch das Drehen hier stattfinden; - nach Russland:
Russland verfügt über eine bedeutende Stahlindustrie. An importierten Produkten ist man nicht interessiert. Hier lautet die Ursprungsregel: „Ursprung verleiht die Herstellung aus Roheisen und ggf. weiteren Legierungselementen. Die Verwendung von Stahlschrott ist unschädlich.“ Beim Export nach Russland wird der EU-Ursprung also nicht erreicht, in diesem Fall behält dieselbe Ware den chinesischen Ursprung.
Beispiel 2
Aus Malaysia werden Elektromotoren (Wert: 15 EUR) importiert, die in ein ferngesteuertes Modellauto eingebaut werden. Alle weiteren Komponenten werden vom Unternehmen selbst produziert (Chassis, Karosserie, Räder etc.; Wert: 5 EUR) oder von einem EU-Hersteller bezogen (Fernsteuerung, Wert: 3 EUR). Die fertigen Modellautos (Wert: 25 EUR) sollen exportiert werden
- nach Indien:
Die wohlhabende Mittelschicht wächst und möchte ihren Kindern etwas bieten, Inlandsproduktion derartigen Spielzeugs existiert nicht. Die indische Ursprungsregel lautet: „Ursprung verleiht der Einbau eines Motors.“ Beim Export nach Indien kann der Ursprung „Europäische Union“ bestätigt werden, da der Einbau des Motors in der EU erfolgt; - nach China:
China ist selbst ein bedeutender Hersteller von Spielzeug, auf ausländische Spielwaren wird kein großer Wert gelegt. Hier lautet die anzuwendende Ursprungsregel: „Ursprung der Ware ist in dem Land, in dem die Wertschöpfung mindestens 50% beträgt.“ Dieser Regel folgend, wäre der Ursprung desselben Modellautos im Ursprungsland des Motors, also in Malaysia.
Beispiel 3
Ein Unternehmen exportiert überwiegend eigengefertigte Ware. Zur Ergänzung seiner Produktpalette werden Zubehörteile in Thailand erworben und unbearbeitet weiterverkauft. Der thailändische Lieferant ist verpflichtet, sein Ursprungszeugnis nach den Regeln der EU auszustellen. Bei einer Lieferung nach Argentinien muss nun aber das argentinische Ursprungsrecht beachtet werden, wofür unser Unternehmen keinen Nachweis hat. Die Ausstellung eines Ursprungszeugnisses ist also gar nicht möglich!
Da die negativen Folgen für den Export und die erheblichen Bedenken von Verbänden, Unternehmen und Experten seitens TAXUD beharrlich ignoriert wurden, fand am 20. Oktober 2011 ein Experten-Hearing unter dem Titel „The new Rules of Origin: Another Barrier for European Exporters?” statt, um diesen Bedenken Gehör zu verschaffen. Mit insgesamt 120 Vertretern aus Unternehmen, Verbänden und europäischen Kammern stieß das Thema auf großes Interesse.
Teilnehmende Unternehmer kritisierten vor allem die negativen Konsequenzen der Neuregelung für den europäischen Außenhandel durch erhöhten bürokratischen Aufwand und daraus folgende Preisanstiege für europäische Produkte. Ein Unternehmensvertreter aus der Chemiebranche berichtete, dass trotz immenser Umstellungskosten die Ermittlung des Warenursprungs eines Produkts für den Exportsachbearbeiter nicht mehr möglich sei, da die Listenregeln als ursprungsbegründende Bearbeitung chemische Reaktionen vorschreiben und nur von einem Chemiker beurteilt werden können.
Im Sinne der europäischen Unternehmen sollte das Ursprungsrecht deshalb so einfach wie möglich gestaltet bleiben, was durch eine Beibehaltung der jetzigen Regelung der „letzten wesentlichen Be- oder Verarbeitung“ gegeben wäre. Durch diese, für die Kommission wohl unerwartet heftige, Reaktion ist es zunächst gelungen zu verhindern, dass die Listenregeln mittels Änderungsverordnung noch in die derzeit geltende Durchführungsverordnung aufgenommen werden.
Im Verlauf der noch immer andauernden Gespräche wurde der Kommission nun ein Vorschlag unterbreitet, der derzeit wohlwollend geprüft wird.
Das eingangs zitierte WTO-Übereinkommen sieht vor, dass die vereinbarten Ursprungsregeln für alle Ursprungsangaben gelten sollen. Darunter fallen insbesondere die Ursprungsermittlung beim Export, die Ursprungsermittlung zur Anwendung handelspolitischer Schutzinstrumente und die Warenmarkierung „Made in …“.
Derzeit wird die Warenmarkierung in der Bundesrepublik Deutschland noch im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geregelt, welches lediglich untersagt, irreführende Markierungen anzubringen. Gleichwohl wird der handelspolitische Ursprung (derzeit geregelt in Art. 24 ZK) als deutliches Indiz für die „Made in“-Angabe anerkannt. In einigen Ländern droht gar die Beschlagnahme der Importwaren, wenn die Markierung nicht mit den Angaben im Ursprungszeugnis übereinstimmt.
Kontakt: e.stolte[at]frankfurt-main.ihk.de
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