Vor allem als Rohstoff- und Nahrungsmittellieferant profitiert Brasilien vom Wirtschaftsboom der Schwellenländer und insbe­sondere Chinas. Die Erschließung gewaltiger Erdölfelder wird für weiteres Wachstum sorgen. Allerdings macht der „Custo Brasil“ – die versteckten Kosten aufgrund vergleichsweise schlechter Infrastruktur, hoher bürokratischer Hürden und ineffizienter ­regulatorischer Rahmenbedingungen – Brasiliens Industrie zu schaffen.

Von Ingo D. Tuchnitz, Vice President, Financial Institutions – Emerging Markets, BHF-BANK

Brasilien ist für die nächsten Jahre weltweite Aufmerksamkeit gewiss. 2014 wird in den Stadien des Landes die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen, und bereits zwei Jahre später ist Brasilien Gastgeber der Olympischen Spiele. Von den beiden Großereignissen verspricht sich das Land zusätzliche positive Wahrnehmung und weitere Wachstumsimpulse. Umfangreiche Investitionen in die Verkehrsnetze, die Energieerzeugung und -distribution sowie die Erdölförderung sind geplant. Deutschen Unternehmen bietet der große Markt viele Chancen.

Als einer der fünf BRICS-Staaten ist Brasilien in der jüngeren Vergangenheit zu einer der global führenden Wirtschaftsnationen aufgestiegen. Nach Einschätzung des IWF nimmt Brasilien beim Bruttoinlandsprodukt weltweit den sechsten Rang ein und hat damit Großbritannien und Italien in Bezug auf die wirtschaftliche Stärke übertroffen. Hinsichtlich Fläche und Einwohnerzahl ist der südamerikanische Staat die Nummer 5 auf der Welt. Die Bevölkerung konzentriert sich auf den Südosten des Landes, der mit dem 20 Millionen Einwohner zählenden Ballungsraum São Paulo auch das wirtschaftliche Gravitationszentrum des südlichen Lateinamerika bildet. Nimmt man das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf als Maßstab, so zählt Brasilien in Südamerika zu den Staaten mit der besten wirtschaftlichen Situation.

Die knapp 200 Millionen Brasilianer profitieren von der großen Nachfrage nach den Rohstoffen und den Agrarprodukten ihres Landes. Die wichtigsten agrarischen Exportgüter sind Rind-, Geflügel- und Schweinefleisch, Sojaprodukte, Kakao, Orangensaftkonzentrat, Zucker (Ethanol), Mais und Kaffee. Bei den mineralischen Rohstoffen steht Eisenerz obenan. Vor allem der Rohstoffhunger Chinas war in den vergangenen Jahren ein Wachstums-treiber. Er hat einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass Brasilien 2010 einen nationalen Wachstumsrekord erzielen konnte.

China ist mittlerweile der wichtigste Handelspartner Brasiliens. Ihm folgen die USA und das Nachbarland Argentinien. Als Lieferant steht Deutschland auf dem vierten Platz. Nicht nur Rohstoffe und agrarische Erzeugnisse aus Brasilien sind sehr gefragt. Brasilianische Unternehmen u.a. aus dem Öl- und Bergbausektor, aus dem Flugzeugbau, aus der Bau-, Zement- und Stahlindustrie besitzen führende Weltmarktpositionen.

Die Konsumfreude einer zahlenmäßig stark wachsenden Mittelschicht ist ein weiterer wichtiger Motor der Wirtschaft. Der mit Abstand größte Binnenmarkt Südamerikas ist zudem ein zentrales Argument für ausländische Unternehmen, sich in Brasilien zu engagieren. 2011 erreichten die ausländischen Direktinvestitionen mit 66 Mrd USD ein neues Rekordhoch. Dass Brasiliens Banken sehr gut kapitalisiert und sehr profitabel sind, erleichtert den Marktzugang und reduziert das Risiko unternehmerischer Aktivitäten.

Zwischen Deutschland und Brasilien bestehen traditionell nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch enge Beziehungen. Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff hat gemeinsam mit dem deutschen Bundespräsidenten die Schirmherrschaft des für 2013/14 geplanten Deutsch-Brasilianischen Jahres übernommen. An einer Projektpartnerschaft interessierte Unternehmen sind den Veranstaltern willkommen.

Der Handel zwischen Brasilien und Deutschland wächst stark. Deutschland liefert vor allem Autos, Autoteile und Maschinen sowie chemische und pharmazeutische Produkte. Aus Brasilien werden in erster Linie Eisenerz, Kupfer und Rohöl sowie Soja, Kaffee und Zivilflugzeuge eingeführt. In beide Richtungen betrug der Warenwert 2011 je rund 11,2 Mrd EUR. Die Handelsbilanz zwischen den beiden Staaten war fast genau ausgeglichen.

Deutschen Unternehmen begegnen die Brasilianer mit Vertrauen und Wohlwollen, zumal zwischen Deutschland und Brasilien seit 200 Jahren enge Verbindungen bestehen. Seit zwei Jahrhunderten wird Brasilien von deutschem Forscher- und Unternehmergeist beeinflusst. Heute haben mehrere Millionen Brasilianer zumindest teilweise deutsche Vorfahren und sprechen Deutsch als Muttersprache. Der bekannteste, von deutschen Einwanderern geprägte Ort Brasiliens ist die 300.000-Einwohner-Stadt Blumenau. Insgesamt sind die südlichen Staaten Santa Catarina und Rio Grande do Sul sehr stark von mehreren Immigrationswellen aus dem deutschsprachigen Gebiet geprägt.

Im Süden und Südosten Brasiliens haben rund 1.200 Unternehmen deutsche beziehungsweise deutschstämmige Eigentümer. Diese meist mittelständischen Unternehmen haben zusammengenommen einen Anteil von etwa 15% an der Indus-trieproduktion Brasiliens und erwirtschaften rund 9% des brasilianischen Bruttoinlandsprodukts. Der Großraum São Paulo ist der größte deutsche Wirtschaftsstandort außerhalb Deutschlands.

Erste Anlaufstellen für den Aufbau von Kontakten sind die drei Deutsch-Brasilianischen Auslandshandelskammern in Rio, São Paulo und Porto Alegre. Der Bundesverband der deutschen Industrie pflegt gute Beziehungen zum brasilianischen Industrieverband, mit dem er jedes Jahr gemeinsam Wirtschaftstage organisiert. Auch verschiedene Berufsverbände (z.B. VDI) und die Außenhandelsexperten der BHF-BANK sind geeignete Adressen, wenn es darum geht, geschäftliche Möglichkeiten in Brasilien zu sondieren.

Besondere Chancen auf dem wettbewerbsintensiven brasilianischen Markt bieten sich für deutsche Unternehmen unter anderem im Bereich der Infrastruktur. Die Verkehrswege und Verkehrsmittel in Brasilien sind stark ausbaubedürftig. Der Zustand der Straßen und Schienen sowie der Mangel an Umschlagkapazität in Häfen und Flughäfen sind für die Wirtschaft Brasiliens ein erhebliches Problem. Mit dem Wachstumsprogramm PAC (Programa de Aceleração do Crescimento) will die Regierung auch vor dem Hintergrund der sportlichen Großereignisse die Engpässe im Verkehrswesen und auch bei der Energieversorgung beseitigen. Von 2011 bis 2014 sollen weitere rund 400 Mrd EUR investiert werden.

Notorisch ist die insbesondere im Vergleich zu den anderen BRICS-Staaten geringere Arbeitsproduktivität der brasilianischen Industrie. Sie ist im Wesentlichen auf die vergleichsweise niedrige Investitionsquote zurückzuführen. Die interne Finanzierung reicht bei einer Sparquote von 18% (China hat rund 50%) nicht aus, um das Land erheblich schneller wachsen zu lassen. Nicht zuletzt deshalb ist das reale BIP-Wachstum Brasiliens mit durchschnittlich 3,6% im Zeitraum von 2005 bis 2011 (IWF-Angaben) deutlich hinter dem wichtiger Konkurrenten zurückgeblieben. Die Industrie leidet zudem unter hohen Kosten und unter dem hohen Wechselkurs des Real. Deshalb müssen weitere Strukturreformen in Angriff genommen werden, insbesondere im Arbeitsmarkt und in der Bürokratie. Dies würde die Nachfrage nach Investitionsgütern generell und aus Deutschland im Besonderen sicher noch einmal deutlich verstärken.

Enorme Wachstumsimpulse werden aus der Erschließung der gewaltigen Erdöl- und Erdgasvorkommen folgen, die in den vergangenen Jahren unter der Tiefsee vor der brasilianischen Küste entdeckt wurden. Brasilien, das schon jetzt in der Lage ist, seinen Erdölbedarf aus eigener Förderung zu decken, wird in den nächsten Jahren wahrscheinlich zu einem der wichtigsten Erdölexporteure der Welt aufsteigen. Allein Petrobras plant, bis 2014 über 200 Mrd USD in Fördertechnik und Logistik zu investieren.

Brasilien ist bereits eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt, und das Land hat nicht zuletzt aufgrund immenser Erdölreserven ein großes Zukunftspotential, nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in geopolitischer Hinsicht. Weltweit wächst der Bedarf an den Nahrungsmitteln und den Rohstoffen, die Brasilien liefern kann. Bei umfassenden Investitionen in die Infrastruktur und die Industrie hat das Land gute Chancen, sein Wirtschaftswachstum weiter zu steigern. Dazu wird es allerdings auch erheblicher weiterer Reformen bedürfen.

Kontakt: ingo.dieter.tuchnitz[at]bhf-bank.com

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