Staatspräsident Enrique Peña Nieto gelang kurz nach seiner Amtseinführung im Dezember 2012 ein großer Wurf: Er bekam die Unterstützung der drei führenden Parteien für seine Reformagenda „Pacto por México“. Doch die Hoffnungen, dass Mexikos ­Wachstumskräfte dadurch schnell entfesselt würden, haben sich bislang noch nicht erfüllt. Dennoch sind die Wachstumsaussichten besser als in den BRIC-Ländern Brasilien und Russland. Für deutsche Exporteure eröffnen sich neue Geschäftschancen.

Von Markus Jaeger, Deutsche Bank Research, Deutsche Bank

Die Wahl des neuen mexikanischen Präsidenten im vergangenen Jahr hatte die Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in die Höhe geschraubt. So bezeichnete eine einflussreiche Finanzzeitung zu Beginn dieses Jahres Mexiko als aztekischen Tiger. Schon kurze Zeit später stellte jedoch ein ebenso renommiertes Wirtschaftsmagazin dieses Bild in Frage und titelte: Aztekischer Tiger oder aztekisches Kätzchen? Mexiko hat in den vergangenen drei Jahrzehnten eine dramatische wirtschaftliche Transformation erlebt. Im Jahr 1982 war es noch das Land, wo die Schuldenkrise ihren Anfang nahm. Doch schon 1994 trat Mexiko der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bei. Dennoch blieb das Wirtschaftswachstum Mexikos hinter dem der meisten Schwellenländer zurück.

Derzeit ist Mexiko die vierzehntgrößte Volkswirtschaft in der Welt, etwas größer als Südkorea und etwas kleiner als Spanien. In Lateinamerika ist Mexiko die zweitgrößte Volkswirtschaft hinter Brasilien. Mit fast 120 Millionen Einwohnern liegt es auf Rang 11 der bevölkerungsreichsten Länder der Welt und ist damit eins der insgesamt nur elf Länder mit mehr als 100 Millionen Einwohnern. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 17.000 USD (auf Basis von Kaufkraftparität) liegt Mexiko im globalen Vergleich im obersten Drittel aller Länder und somit etwas hinter der Türkei, aber vor EU-Staaten wie Bulgarien und Rumänien *.

Wie ist Mexikos Position im Welthandel? Im letzten Jahr importierte Mexiko mehr Waren als Russland und rangierte auf Platz 12 mit Warenimporten im Wert von 380 Mrd USD – das ist ein Drittel mehr als die Importe des BRIC-Lands Brasilien. Hinsichtlich der Exporte lag Mexiko auf Position 14 der bedeutendsten Exportstaaten mit einem fast genauso hohen Ausfuhrvolumen wie Brasilien. Etwa 50% aller Importe kamen aus den USA, 15% aus China und nur etwa 10% aus der EU *. Es ist wichtig zu vermerken, das die sogenannten „Maquiladoras“ einen bedeutenden Teil der Importe vornehmen, die dann später wieder in die Exporte einfließen und oftmals in das Land reexportiert werden, aus dem die Komponenten ursprünglich kamen.

Als Teilnehmer am nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA unterscheidet sich Mexiko deutlich von den meisten anderen lateinamerikanischen Ländern. Rohstoffe haben einen viel geringeren Anteil an den Gesamtexporten als in anderen Ländern der Region.Allerdings ist die mexikanische Regierung relativ stark von den Einnahmen aus dem Ölexport abhängig, die durchschnittlich 30% bis 40% der Gesamteinnahmen des Staates darstellen *.

Mit der sogenannten Tequila-Krise Mitte der 90er Jahre ließ Mexiko endgültig das sogenannte verlorene Jahrzehnt hinter sich, das mit der lateinamerikanischen Schuldenkrise 1982 begonnen hatte. Sowohl der US-Aktienmarktcrash 2001/ 2002 als auch die Weltfinanzkrise 2008/ 2009 führten zu massiven Wachstumseinbrüchen in Mexiko, die aber jeweils von kurzer Dauer waren. Die solide Finanz- und Wirtschaftslage Mexikos spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) Mexiko die im Zuge der Weltfinanzkrise neugeschaffene vorbeugende Liquiditätslinie zur Verfügung stellte und damit sein Vertrauen in die solide Wirtschaftspolitik des Landes unterstrich. Die Finanzpolitik ist seit der Tequila-Krise sehr solide, und eine unabhängige Zentralbank sorgt für Preisstabilität. Angesichts solider Institutionen und der stabilen Finanzpolitik bewerten die internationalen Ratingagenturen mexikanische Staatsanleihen mit BBB bzw. BBB+ und bescheinigen dem Staat eine gute Bonität.

Nach der Rezession im Jahr 2009 schien es so, als ob Mexiko sich nun auf einen höheren Wachstumspfad als vor der Krise begeben würde. Während einige Schwellenländer schon 2011 unterdurchschnittliches Wachstum verzeichneten, blieb das mexikanische Wachstum nach Angaben von DB Research weiterhin bei 4%, einem hohen Wert im Vergleich zu einem Schnitt von nur 2,5% in den vorangegangenen Jahren. Im vergangenen Jahrzehnt wurde das Wachstum durch den sogenannten China-Faktor geschwächt. Die rapide wachsende Bedeutung Chinas hat Mexiko stark zu schaffen gemacht. Wettbewerbsfähige Produkte eroberten den für Mexiko bei weitem wichtigsten Exportmarkt – die USA – und machten damit mexikanischen Exporten direkt Konkurrenz. Nach der Weltfinanzkrise begannen die Lohn­kosten in China schnell zu steigen und erlaubten Mexiko, flankiert durch einen schwächeren Wechselkurs, Marktanteile in den USA zurückzugewinnen.

Doch Mexiko überraschte 2013 mit einer dramatischen Wachstumsverlang­samung, die weit über das hinausgeht, was man aufgrund des geringeren US-Wachstums erwartet hatte. Noch ist unklar, ob diese Verlangsamung zyklisch oder strukturell bedingt ist. Tatsache ist, dass Mexiko trotz einer soliden Finanzpolitik und hoher wirtschaftlicher Stabilität im langfristigen Durchschnitt der vergangenen zehn, 20 oder 30 Jahre nur ein relativ geringes Wirtschaftswachstum von 2,5% im Jahr verzeichnen konnte *.

Die Strukturreformagenda des neuen Staatspräsidenten hat in den vergangenen zwölf Monaten für Enthusiasmus gesorgt. Seit Vollendung der Demokratisierung, die mit der Wahl des Oppositionskandidaten Vincente Fox im Jahre 2000 erfolgte, haben die zwei letzten Präsidenten leider nur sehr wenige Strukturreformen mit positiven Effekten für das Wachstum umsetzen können.

Unter dem neuen Präsidenten, Peña Nieto, wurde im Dezember vergangenen Jahres der sogenannte „Pacto por México“ unterzeichnet, und zwar von allen drei großen Parteien (PRI, PAN, PRD). Der Pakt sieht Reformen in folgenden Themenfeldern vor: wirtschaftliche Freiheiten, Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit, Sicherheit und Rechtssystem, Korruptionsbekämpfung und Regierungsfähigkeit. Der parteiübergreifende Konsens ist wichtig, da viele Reformen eine Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern des Kongresses und damit die Zustimmung weiter Teile der Opposition benötigen. Für die Entfaltung des Wachstumspotentials sind insbesondere Reformen im Telekommunikationssektor, im Energiebereich und des Steuersystems von Bedeutung. Diese Reformen sollen das Vertrauen der Investoren erhöhen, für höhere Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen sorgen und die heimischen Investitionen stimulieren.

Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Rechtsreformen (amparos) sind schon Ende 2012 bzw. Anfang 2013 umgesetzt worden. Andere Reformprojekte (bzgl. Staatsfinanzen, Energie, Steuern sowie Sozialver­sicherung) liegen dem Kongress vor oder sind in Vorbereitung. Bei einzelnen Reformprojekten muss man erst noch abwarten, wie sie im Detail aussehen ­werden. Noch ist nicht absehbar, wie viele Konzessionen der Präsident wird machen müssen und wie am Ende die neuen Gesetze ausgestaltet sein werden. Nach ersten erfolgreichen Reformschritten sieht es derzeit so aus, als müsse der ­Präsident Abstriche an der ursprünglich ambitionierten Steuerreform machen, weil es Widerstand in den eigenen Reihen gibt. Unklar ist derzeit auch noch, wie die Energiereform im Detail aussehen bzw. ob das Ergebnis attraktiv für ausländische Investoren sein wird. Die Reform des ­Telekommunikationssektors sieht hingegen auf dem Papier sehr vielversprechend aus.

Selbst wenn einige der genannten Reformen weniger radikal als ursprünglich erwartet ausfallen, sollten die bereits umgesetzten Reformen die mittelfristigen Wachstumsaussichten Mexikos verbessern. Unser Baseline-Szenario geht davon aus, dass sich das Wachstum auf 3% bis 4% beschleunigen könnte. Sollte eine solide Energiereform zustande kommen, könnte das Wachstum sogar auf über 4% steigen. Die mittelfristigen Aussichten Mexikos könnten folglich besser sein als die der BRIC-Länder Brasilien und Russland. So dürfte das Land deutschen Exporteuren neue Chancen eröffnen.

  • Alle Zahlenangaben: Deutsche Bank Research.

Kontakt: markus.jaeger[at]db.com

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