Die RCEP wird die größte Freihandelszone der Welt; knapp ein Drittel der globalen Wertschöpfung wird schon heute dort erwirtschaftet. Muss uns der neue Koloss schrecken?

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Die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) ist ein weiterer Schritt Richtung Blockbildung in der Weltwirtschaft: Die Lieferketten werden zunehmend kontinental statt global. Das Freihandelsabkommen, das wirtschaftliche Schwergewichte wie China, Japan, Südkorea und Australien sowie dynamische Wachstumsländer wie Vietnam und Malaysia umfasst, dürfte diese Entwicklung forcieren. Es ist bemerkenswert, dass so unterschiedliche, historisch in ihrer Beziehung teilweise sehr belastete Staaten zusammengefunden haben.

Die RCEP-Region hat sich in den Jahren 2005 bis 2015 weniger abhängig von Vorprodukten aus und Absatzmärkten in Europa und Nordamerika gemacht, während die „Fabrik RCEP“ für die „Fabriken Europa und Nordamerika“ wichtiger geworden ist. Die RCEP-Länder profitieren von der Entwicklung globaler Wertschöpfungsketten (Global Value Chains, GVC), insbesondere bei komplexen Lieferketten. Schon heute ist der Anteil von GVC, bei denen Güter im Laufe ihrer Produktion mehrere Staatsgrenzen überschreiten, in diesen Ländern so groß wie in Europa; nur China allein hat einen höheren Anteil. Chinas wichtigste Region für Vorprodukte und den Export zur Endverarbeitung ist schon heute die RCEP.

Eine langsame Entwicklung

Wenn in den kommenden 20 Jahren im Zuge des RCEP-Abkommens 90% der Zollschranken fallen, wird das den Aufbau regionaler, grenzüberschreitender Lieferketten für Güter beschleunigen. Zwar gibt es schon lange Zollabkommen in der ASEAN-Region, der die Mehrzahl der RCEP-Staaten angehört: 70% des Inner-ASEAN-Güterhandels sind bereits zollfrei. Aber die drei wichtigsten Länder China, Japan und Südkorea trennen zum Teil noch relativ hohe Zollbarrieren. Wenn sie fallen, werden vor allem diese drei von der RCEP stark profitieren.

Diese Entwicklung muss Europa aber nicht schrecken. Die Barrieren werden nur langsam abgebaut, wichtige Bereiche wie Landwirtschaft und der wachsende Dienstleistungssektor sind ganz von den RCEP-Regelungen ausgenommen oder gehen kaum über das GATS-Regime hinaus, das auf Ebene der Welthandelsorganisation den Handel mit Dienstleistungen regelt.

Außerdem ist die wirtschaftliche Verflechtung der EU mit den RCEP-Ländern geringer als die Nordamerikas oder der Mercosur-Staaten. Das gilt sogar für das exportstarke Deutschland. So wird die RCEP vor allem als politisches Signal Chinas an die USA nach der Absage der Transatlantischen Partnerschaft mit Japan, Vietnam, Chile und anderen Pazifikanrainern durch die Trump-Regierung gewertet.
Augenfällig ist dabei allerdings, dass viele Konfliktbereiche wie Arbeitsrecht, Nachhaltigkeit und Umweltschutz oder auch Subventionen und Staatsunternehmen nicht Teil der Einigung sind. Die EU ist in dieser Hinsicht deutlich weiter integriert und bemüht sich um ein faires Wettbewerbsumfeld innerhalb der Region. So lässt die RCEP Potenzial liegen. Viele Experten nehmen daher an, dass die Wachstumsimpulse in der Anfangszeit überschaubar sein werden.

Näher an China

Der BDI warnt in seiner Analyse der RCEP-Freihandelszone dennoch davor, die Veränderungen zu unterschätzen. Die RCEP-Mitgliedstaaten würden ihren Handel miteinander intensivieren; wer draußen sei, werde hingegen das Nachsehen haben. Europäische Exporteure müssten sich darauf einstellen, dass ihr Marktzugang geschwächt und Handel umgelenkt werde, schreibt der BDI.
Jochen Möbert von Deutsche Bank Research sieht hingegen weniger Risiken für deutsche Unternehmen durch die RCEP als durch innerdeutsche oder innereuropäische Themen wie steigende Stromkosten. Schließlich sei Deutschland eines der wenigen Länder, die sich trotz Chinas Aufstieg seit vielen Jahren erfolgreich auf dem Weltmarkt behaupteten: „Wer überzeugende, attraktive Produkte baut, wird auch mit der RCEP Kunden finden. Vielleicht sogar noch mehr als zuvor.“

Die RCEP bietet sogar Chancen für Europa – wenn die Unternehmen direkt in der Region investieren. Vorlage ist Mexiko: Das Land profitierte von einem Zufluss internationaler Direktinvestitionen, nachdem es das Freihandelsabkommen NAFTA mit den USA und Kanada geschlossen hatte. Deutsche Unternehmen konnten nun günstig in Mexiko produzieren und zollfrei in das Nachbarland USA exportieren. Mit der RCEP könnte es ähnlich gehen: Deutsche Unternehmen produzieren an Standorten, die günstiger als China sind – wo die Arbeitskosten in vielen Bereichen inzwischen deutlich gestiegen sind – und könnten von dort aus den riesigen chinesischen Markt für den Export erschließen.

Der zweite große Vorteil: In etlichen Ländern dürfte die Gefahr staatlicher Interventionen und des Verlusts intellektuellen Eigentums geringer sein. Schließlich ist die technologische Autarkie Chinas erklärtes Ziel – das Land will nicht mehr nur Werkbank der Welt sein. Nicht zuletzt können sich deutsche Unternehmen mit einem Standort außerhalb Chinas dem andauernden Konflikt zwischen den Supermächten USA und China entziehen. Außenhandelsexperte Möbert empfiehlt auch, für die künftige Entwicklung Chinas Bedeutung nicht überzugewichten. „Nach 40 sehr beeindruckenden Wachstumsjahren wird deutlich, dass China an Dynamik verlieren wird.“ Indien hingegen könnte in den kommenden Jahrzehnten in die Rolle der Wachstumslokomotive hineinwachsen, zumindest biete die wachsende Mittelschicht in Kombination mit dem westlich geprägten Rechtssystem eine gute Basis dafür. Indien ist aber in letzter Minute aus der RCEP ausgestiegen – und könnte empfänglich sein für alternative Abkommen. Möglicherweise ist die RCEP der Startschuss zu einer neuen Runde von umfassenden Freihandelsvereinbarungen. „Wer weiß, vielleicht kommt es ja sogar zu einer Vereinbarung zwischen den großen Blöcken RCEP und EU“, sinniert Möbert – das wäre ein starker Impuls Richtung Globalisierung nach Jahren vor allem bilateraler Einigungen.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank. Diesen und weitere Beiträge finden Sie HIER

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