Unter dem GASP-Standpunkt 2008/944 tendiert die deutsche Regierung zu harten Restriktionen beim Rüstungsexport gegenüber Drittstaaten, insbesondere dann, wenn im Empfängerland interne Repression herrscht – allerdings zeigt die Diskussion um das Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien, dass diese Praxis aus Bündnisinteressen auch liberal gehandhabt werden könnte. Andererseits soll der Rüstungshandel mit den EU-Ländern umfassend liberalisiert werden, hierzu gibt es eine neue Zertifizierung.
Von PD Dr. Harald Hohmann, Rechtsanwalt und Partner, Hohmann & Partner
Das deutsche Unternehmen D möchte mehrere Rüstungsgüter nach Vietnam, Thailand und Saudi-Arabien exportieren. In den meisten Fällen ist der Kunde die dortige Polizei, die diese Güter zu ihrem eigenen Schutz verwenden will. Darf das BAFA die beantragte Exportgenehmigung ablehnen?
Variante: D möchte künftig seine Rüstungsgüter in andere EU-Länder verbringen, ohne dafür immer eine Einzelgenehmigung beantragen zu müssen. Wenn auch keine bisherige Allgemeingenehmigung eingreift: Was kann er machen, um dieses Ziel zu erreichen?
Der Export von Rüstungsgütern ist nach §5 Abs.1 AWV genehmigungspflichtig, und zwar für Exporte in alle Länder (inkl. EU-Mitglieder). Entscheidende EG-Rechtsgrundlage für den Rüstungsexport ist der GASP-Standpunkt 2008/944, nach dessen Kriterium 2 die Genehmigung verweigert wird, „wenn eindeutig das Risiko besteht, dass die Güter zur internen Repression benutzt werden könnten“.
Nach dem Wortlaut von Satz 4 des Kriteriums 2 liegt „interne Repression“ (nach-folgend IR) in jedem Fall dann vor, wenn durch das Empfangsland einige der folgenden fünf Tatbestände belegbar sind: (1) Folter, (2) andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, (3) willkürliche Hinrichtungen, (4) Verschwindenlassen von Personen oder willkürliche Verhaftungen, (5) andere schwere Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Rechtlich erforderlich für die Ablehnung einer Genehmigung zum Rüstungsexport ist ein zweifacher Nachweis des BAFA:
- Das Empfangsland ist eindeutig ein IR-Land; aus Transparenzgründen können dies nur Länder sein, bei denen möglichst alle oder die meisten der o.g. fünf Tatbestände eindeutig und nicht nur vorübergehend vorliegen.
- Das Exportgut ist eindeutig ein IR-Gut, also ein Rüstungsgut, das technisch etc. für IR-Zwecke eingesetzt werden kann und bei dem ein IR-Einsatz zu erwarten ist.
Im Rahmen einer Recherche wurden neun Länder untersucht, nämlich drei afrikanische (Ägypten, Tunesien, Libyen), zwei arabische (Saudi-Arabien, VAE) und vier asiatische Länder (Brunei, Philippinen, Thailand, Vietnam), durch Analyse aktueller, wissenschaftlich abgesicherter Länderberichte (vor allem des BICC, Bonn International Center for Conversion, u. a.).
Bei den afrikanischen Ländern ist Libyen ein eindeutiges IR Land (fünf Tatbestände), während bei Ägypten und Tunesien Fragezeichen verbleiben (allenfalls zwei Tatbestände, keine gesicherten Erkenntnisse bzgl. der aktuellen Entwicklung). Bei den arabischen Ländern ist Saudi-Arabien aufgrund dieser Länderberichte ein eindeutiges IR-Land (fünf Tatbestände), dies gilt nur mit Abschwächungen für die VAE (ca. drei Tatbestände, z.T. nur nach unbestätigten Berichten). Bei den asiatischen Ländern sind die Philippinen ein eindeutiges IR-Land (fünf Tatbestände), dies gilt nur mit Abschwächungen für Brunei (ca. drei Tatbestände); hingegen gilt es nicht für Thailand (mehrere Tatbestände nur zeitweise) und erst recht nicht für Vietnam (allenfalls ein Tatbestand).
Vergleicht man dieses Ergebnis mit den 25 wichtigsten Empfangsländern gemäß dem deutschen Rüstungsexportbericht 2009, so stellt sich die Frage: Lässt es sich rechtfertigen, dass:
- die VAE das Empfangsland Nr. 2 des deutschen Rüstungsexports sind mit einem Umfang, der den deutschen Lieferungen in die USA entspricht (vgl. die drei IR-Tatbestände)?
- Brunei das Empfangsland Nr. 4 des deutschen Rüstungsexports ist mit einem Umfang, der den deutschen Lieferungen nach Großbritannien entspricht (vgl. die ca. drei IR-Tatbestände)?
- Saudi-Arabien das Empfangsland Nr. 6 des deutschen Rüstungsexports ist mit einem Umfang, der den deutschen Lieferungen nach Frankreich bzw. Südkorea entspricht (vgl. die fünf IR-Tatbestände)?
- Libyen das Empfangsland ca. Nr. 25 des deutschen Rüstungsexports ist mit einem Umfang, der den deutschen Lieferungen nach Dänemark entspricht (vgl. die fünf IR-Tatbestände und neuerdings das Waffenembargo)?
Wenn die deutsche Regierung eine liberalere Handhabung der Rüstungsexporte in solche Länder haben möchte, die sie als Verbündete für eine Krisenregion ansieht, müsste sie zusätzliche Regelungen schaffen, wie es etwa die USA mit ihren Regelungen zu Foreign Military Sales (FMS) getan haben, um zu klären, in welcher Beziehung bündnispolitische Argumente gegenüber IR/Menschenrechten stehen. Da diese gegenwärtig fehlen, kann nicht argumentiert werden, dass bündnispolitische Interessen Vorrang hätten vor Menschenrechten; das Gegenteil ist richtig: Sofern ein Drittland ein eindeutiges IR-Land und das Exportgut eindeutig ein IR-Gut ist, ist die Exportgenehmigung zu verweigern. Dies folgt eindeutig aus Kriterium 2 des GASP-Standpunktes und auch aus Punkt III.4 der Politischen Grundsätze der Bundesregierung von 2000. Unter Zugrundelegung der o.g. Länderstudie zu Saudi-Arabien ist somit davon auszugehen, dass die angeblich positive Bescheidung Deutschlands einer Voranfrage für ein Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien (Juli 2011) im Zweifel rechtswidrig ist.
Eine Ablehnung der Genehmigung bzgl. der Lieferungen nach Vietnam und Thailand wäre im Zweifel rechtswidrig. Bzgl. Vietnams wird das BAFA in keinem Fall einen Nachweis vorlegen können, dass es sich um ein IR-Land handelt. Entsprechendes gilt auch für Thailand, zumindest seit dem Ende des Ausnahmezustands am 22.12.2010. Sofern es sich um Rüstungsgüter handeln sollte, die kaum als IR-Güter anzusehen sind, wäre die Rechtslage eindeutig. Hingegen wäre die Ablehnung der Genehmigung bzgl. der Lieferung nach Saudi-Arabien im Zweifel rechtmäßig, es sei denn, es wären keine eindeutigen IR-Güter.
Zur Fallvariante: Nach der Rüstungsgüter-Richtlinie 2009/43 (sog. ICT-RL) bleibt es zwar grundsätzlich bei der Genehmigungspflicht für die sog. Verbringung von Rüstungsgütern – also für den Handel zwischen den EU-Mitgliedern –, aber die umfassende Liberalisierung des EU-Handels soll durch nationale Allgemeingenehmigungen (nachfolgend: AG) herbeigeführt werden.
Neben einer AG für bestimmte Einzelfälle (für Vorführungen, Ausstellungen, Wartungen, Reparaturen, vgl. Art. 5 ICT-RL) sieht die ICT-RL in ihrem Art. 9 eine AG für zertifizierte Rüstungsunternehmen vor. Diese ICT-RL wurde am 03.08.2011 durch das Umsetzungsgesetz vom 27.07.2011 in deutsches Recht umgesetzt, was zu Ergänzungen im AWG, in der AWV und im KWKG geführt hat.
Seit dem 04.08.2011 hat D die Möglichkeit, nach § 2a AWG und § 2a AWV ein Zertifikat beim BAFA zu beantragen. Hierzu muss er Erfahrung im Bereich Rüstungsgüter und in deren Exportkontrolle sowie eine einschlägige industrielle Tätigkeit bzgl. Rüstungsgütern nachweisen, einen leitenden Mitarbeiter zum Verantwortlichen für Rüstungsverbringungen ernennen, eine schriftliche Verpflichtung von sich und dem leitenden Mitarbeiter vorlegen, Endverwendungskontrollen zu beachten, und vor allem: Er muss ein ICP (Internal Compliance Program) zur Exportkontrolle nachweisen.
Aus dem ICP bzw. dieser Organisationsanweisung, bei deren Aufstellung ein Exportanwalt Hilfe leisten kann, müssen die organisatorisch-personellen Mittel für die Verbringung, die Zuständigkeiten beim Antragsteller, die internen Prüfverfahren, die Schulung des Personals, Maßnahmen zur physisch-technischen Sicherheit, das Führen von Aufzeichnungen und Maßnahmen der Rückverfolgbarkeit ersichtlich sein. Schließlich ist ein Selbstbewertungsbogen mit Antworten zu 56 Fragen einzureichen, vor allem zur bisherigen und künftigen Compliance.
Nach dieser Zertifizierung kann D künftig umfassend von einer Liberalisierung des EU-Handels bei Rüstungsgütern profitieren, vorausgesetzt, das BAFA schafft bald die nationale AG hierfür (in Umsetzung von Art. 9 ICT-RL). Derzeit gibt es erst die neue AG 25 vom Juli 2011 (zur Umsetzung von Art. 5 ICT-RL).
Es gilt einmal eine sehr restriktive Handhabung des Rüstungsexports in Drittländer, bei der selbst Genehmigungen für Güter, die eindeutig keine IR-Güter sind, vom BAFA abgelehnt werden, und zwar selbst für Länder, die keine eindeutigen IR-Länder sind. Hier kann nur der Widerspruch gegen solche Ablehnungen empfohlen werden – er war bisher fast immer erfolgreich.
Auf der anderen Seite ist eine umfassende Liberalisierung der Rüstungsverbringungen vorgesehen; in Deutschland ist dies durch Zertifizierung seit August 2011 möglich. Bedenklich ist aber, dass die deutsche Regierung bei Rüstungsexporten in einige Länder, die sie offenbar als Bündnispartner für Krisenregionen ansieht, bisher großzügig Genehmigungen erteilt. Erst durch eine zusätzliche Regelung des Gesetzgebers könnte hierfür eine Rechtsbasis geschaffen werden, weil dann das Verhältnis Bündnisinteresse zu Menschenrechten geklärt würde. Im Interesse der Rechtssicherheit ist eine solche Regelung dringend erforderlich.
Kontakt: harald.hohmann[at]hohmann-partner.com