Tiger, BRIC und Next Eleven – Bezeichnungen für Ländergruppen, welche aus Analystensicht rosige Zukunftsaussichten versprechen, sei es als potentialstarker Absatzmarkt oder attraktiver, weil kostengünstiger Produktionsstandort – im Idealfall sogar als die Kombi­nation von beidem. Bei diesen sicherlich korrekten, gleichwohl auch plakativen Betrachtungen bleiben häufig Länder ­völlig außen vor, die für deutsche Unternehmen hinsichtlich dieser Erfordernisse bei näherer Betrachtung durchaus ähnlich attraktiv sein können.

Von Michael Zipf, Origination & Execution im Bereich Structured Trade & Export Finance (STEF), ­Deutsche Bank AG

Fasst man die Länder südöstlich von Österreich als Südosteuropa zusammen, erhält man für die Region mit ca. 90 Millionen Einwohnern ein recht differenziertes Bild hinsichtlich wirtschaftlicher Entwicklung, politischer Situation, bestehender Infrastruktur und nicht zuletzt geographischer Lage.

Einige Länder können auf eine sehr positive wirtschaftliche Entwicklung zurückblicken. Diese geht zumeist einher mit einer politischen Stabilisierung. Die Kombination aus beiden Entwicklungen hat Ländern wie Bulgarien, Rumänien, Slowenien und Ungarn bereits den Beitritt zur EU ermöglicht. Kroatien soll im Juli 2013 Mitglied werden. Andere Länder, insbesondere die „jungen“, kleineren Staaten aus dem ehemaligen Jugoslawien, arbeiten nach erreichter Unabhängigkeit noch mehr oder weniger intensiv an der Etablierung von nachhaltigen politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die ebenfalls den Weg zu einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union ebnen sollen.

Auch wenn die Banken- und Finanzkrisen der letzten Jahre ihre Spuren im Wachstum dieser Länder hinterlassen haben, stimmen die Ergebnisse von Analysen, unter anderem des IWF, positiv. In den meisten Ländern wird für 2013 wieder ein Wachstum des BIP von 1% bis 4% prognostiziert. Interessant ist ebenfalls die geographische Lage vieler Länder. Sie bilden eine Transitachse zwischen Mitteleuropa und dem Vorderen Orient oder profitieren von der Nähe zu Italien über den Seeweg der Adria. Im Osten kommen ihnen die kurzen, traditionellen Verbindungen über das Schwarze Meer in die anliegenden GUS-Staaten zugute.

Je nach Blickwinkel sorgt die geographische Lage nicht nur für Geschäftspotential, sondern sie bringt auch Hindernisse: In einigen Ländern mangelt es noch an einer zuverlässigen Infrastruktur – sowohl im Inland als auch für die Anbindung an die Nachbarländer –, deren Existenz essentiell für eine nachhaltige, positive Entwicklung der jeweiligen Volkswirtschaft ist. Auch wenn die politischen Risiken in etlichen Ländern noch als hoch einzustufen sind, arbeiten die betreffenden Regierungen intensiv an vertrauensbildenden Maßnahmen, wie der Verbesserung demokratischer Strukturen, der Bekämpfung von Korruption und der Beilegung von historischen Streitigkeiten.

Geschäftschancen für deutsche Unternehmen bieten sich in der Region sowohl im ausschließlichen Vertrieb von Waren und Dienstleistungen als auch bei Investitionen in Produktionskapazitäten. Je nach Entwicklungsstand des einzelnen Zielmarktes kommen hierbei unterschiedliche Bereiche in Betracht. Der Ausbau der regionalen, aber auch der internationalen Verkehrswege und anbindungen (Straßen, Bahn) – insbesondere auch in Verbindung mit dem paneuropäischen Verkehrskorridor – steht regelmäßig im Fokus von Regierungen der Region. In etlichen Ländern, z.B. in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, muss die Energie und Wasserversorgung erneuert, stabilisiert oder erweitert werden. Stromerzeugung nach modernen umweltverträglichen Standards, zuverlässige Verteilung der Elektrizität und stabile Netze in der Strom- und Wasserversorgung sind Herausforderungen, die suk­zessive angegangen werden. Auf kommunaler Ebene gilt dies analog, z.B. für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs.

Internationale Ausschreibungen für strategische Partnerschaften zur Umsetzung der Projekte sowie die Suche nach leistungsfähigen Auftragnehmern sorgen für Geschäftsansätze für deutsche (überwiegend große) Unternehmen. Im „Schlepptau“ dieser Großprojekte ergeben sich auch Chancen der Einbindung für deutsche Sublieferanten aus dem Mittelstand.

Lokale Großunternehmen, oft ehemalige Staatsbetriebe, wurden vielfach unter Beteiligung von ausländischen Investoren privatisiert. Auch hier muss in der Regel investiert werden, was zu interessanten Aufträgen z.B. für die Maschinenbauindustrie führen kann.

In der Privatwirtschaft der Region fehlt häufig der Unterbau eines gewachsenen Mittelstands. Entsprechend bietet dieser Bereich zusätzliche interessante Möglichkeiten zum Aufbau eines ausgelagerten Produktionsstandorts. Von dort aus können dann entweder lokale Absatzmärkte direkt erschlossen und bedient oder aber mittels dieser preiswerten ausgelagerten Werkbank die Attraktivität eines originär deutschen Anbieters auf den globalen Märkten gestärkt werden.

Inwieweit hierbei ein Joint Venture oder eine eigene Neugründung in der Region die passende Lösung ist, hängt von den spezifischen lokalen Gegebenheiten sowie den rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen ab. Daneben sind Faktoren wie Ausbildung der verfügbaren Arbeitskräfte, Lohnkostenniveau und Arbeitskultur vor einer Entscheidung zu berücksichtigen. In den meisten Ländern wurden auch attraktive Sonderwirtschaftszonen eingerichtet, welche interessierten Investoren den Einstieg in die jeweiligen Märkte erleichtern können.

Bei reinen Exportgeschäften aus Deutschland heraus zeigt sich häufig die positive Wahrnehmung, bezogen auf deutsche Produktqualität und Zuverlässigkeit. Gleichzeitig empfinden deutsche Exporteure in vielen Fällen die gegebenen Prozesse als aufwendig, weil bürokratisch. Insgesamt erscheinen die beobachteten Transaktionen im Vergleich zu Exporten in andere Regionen jedoch nicht als problematischer.

Die Finanzierung von Großprojekten mit staatlicher Einbindung bietet länderabhängig sehr differenzierte Lösungen. Während einige Länder (insbesondere EU-Mitglieder) schon Erfahrungen bei der Begebung von Anleihen an den lokalen und internationalen Kapitalmärkten sammeln konnten, sind andere Länder (teilweise die jüngeren exjugoslawischen Staaten) überwiegend auf Finanzierungen unter Mithilfe von multilateralen Institutionen und Entwicklungsbanken wie Weltbank, EBRD oder EIB angewiesen.

Als interessante alternative Lösung bietet sich im Falle von größeren Importanteilen gegebenenfalls auch die Finanzierung über eine kommerzielle Bank mit Unterstützung eines staatlichen Exportkreditversicherers (z.B. Euler Hermes in Deutschland) an. Gerade bei größeren Einzel­projekten können die Vorteile einer langfristigen, preisgünstigen Finanzierung mit einem – im Vergleich zu Entwicklungsbanken – reduzierten administrativen Aufwand kombiniert werden.

Bei privaten Investitionsprojekten mit etablierten Importeuren spielen kommerzielle Banken eine weitaus wichtigere Rolle. Neben „echten“ lokalen Banken sind in der Region viele ausländische Banken mit Beteiligungen präsent. Auch hier hängt die Verfügbarkeit von Kreditmitteln – außer von der immer notwendigen Bonität des Kreditnehmers – von der wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Situation im jeweiligen Land ab.

Auch wenn sich ein größeres Angebot an Krediten mit längeren Laufzeiten abzeichnet, sind Rückzahlungsfristen von fünf Jahren eher die Ausnahme als die Regel. Da für die Tragfähigkeit von Investitionsprojekten aber häufig eine längere Tilgungsphase unabdingbar ist, kann das beschriebene Finanzierungsumfeld zu einer Gefährdung des (Export-)Auftrags führen.

Sofern der Importeur seine Bonität mittels Jahresabschlüssen nach internationalen Standards belegen kann, ist die Finanzierung aus Deutschland heraus mit Einbindung eines Exportkreditversicherers eine attraktive Lösung, da Laufzeiten von bis zu zehn Jahren möglich sind. Die Unterstützung durch den potentiellen Lieferanten bei der Ausarbeitung von solchen Finanzierungslösungen befördert die Chancen auf den Zuschlag des Auftrags.

Es ist sicherlich angemessen zu sagen, dass Südosteuropa für Exporteure vermehrt Absatzchancen bieten dürfte. Die Finanzierungsmöglichkeiten sind grundsätzlich gut entwickelt, wenngleich von Land zu Land und von Projekt zu Projekt in unterschiedlicher Ausprägung und verbunden mit unterschiedlichem Aufwand.Öffentliche Auftraggeber verfügen häufig bereits über aktuelles Wissen über passende Finanzierungsalternativen, während Privatunternehmen auch auf die Unterstützung von Lieferanten und Banken angewiesen sind, um die passende Finanzierungsstruktur zu erarbeiten.

Textkasten: Ein Praxisbeispiel:

Das mazedonische Energieversorgungsunternehmen Macedonian Power Plants (ELEM) erneuert wesentliche Teile im größten Kraftwerk Mazedoniens. Neben der Verlängerung der Laufleistung sind Hauptziele der Maßnahme die Steigerung der Effizienz und eine Reduktion von Emissionen der drei Kraftwerkseinheiten. Auswahlkriterien hinsichtlich des Lieferanten für den Austausch der Dampferzeuger waren technische Kompetenz, preisliche Wettbewerbsfähigkeit sowie die Finanzierbarkeit des Investitionsprojektes. Entsprechend konnten westeuropäische Bieter aufgrund bestehender Exportkreditversicherungen von vornherein beim letztgenannten Kriterium punkten und wahrscheinlich preisliche Vorteile anderer Anbieter ausgleichen. Den Zuschlag erhielt die Babcock Borsig Steinmüller GmbH in Oberhausen, die das Großprojekt über nahezu 90 Millionen EUR zwischen 2012 und 2014 als Generalunternehmer umsetzt. Das Projekt wird mit Unterstützung der deutschen Export­kreditversicherung Euler Hermes Deutschland AG finanziert. Der Kredit mit einer Laufzeit von zwölf Jahren wird entsprechend dem Projektfortschritt direkt an den deutschen Lieferanten ausgezahlt. So profitieren der Importeur von einer maßgeschneiderten langfristigen Finanzierung und die Babcock Borsig Steinmüller GmbH von einer gesicherten und zeitnahen Bezahlung der erbrachten Lieferungen und Leistungen direkt durch die finanzierende Bank.

Kontakt: michael.zipf[at]db.com

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