Die Finanzkrise hat das Bewusstsein für die Risiken in den Industrieländern geschärft. Für die Schwellenländer weisen die ökonomischen Kennzahlen dagegen eine verbesserte Bonität aus. Doch auch sie wurden von der Krise erfasst: Politische Instabilität, wachsender Protektionismus und Kreditblasen prägen nach Ansicht von Coface das neue Bild der Länderrisiken in den Emerging Markets.
Von Dr. Dirk Bröckelmann, Referent Unternehmenskommunikation, Coface Deutschland, Niederlassung der Coface S.A.
Trotz eines stabilen Wirtschaftswachstums, das in diesem Jahr 5,1% betragen dürfte, sind die Schwellenländer nicht frei von Risiken. Der internationale Kreditversicherer Coface sieht drei wesentliche Gefahren, die in den Ländern unterschiedlich ausgeprägt auftreten. Politische Spannungen haben zugenommen, nicht nur in Nordafrika und dem Mittleren Osten, sondern nun auch in Russland und Indien. Der wirtschaftliche Protektionismus wird stärker. Die enorme Zunahme der Bankkredite im privaten Sektor in einigen Ländern schürt die Furcht vor einer Kreditblase besonders in Asien.
Um die Bereitschaft und Fähigkeit einer Gesellschaft zum politischen Umbruch zu analysieren, wertet Coface zwei Arten von Indikatoren aus. Faktoren wie Inflation, Arbeitslosigkeit oder Korruption zeigen das Ausmaß der sozialen und politischen Frustration und damit das Druckpotential für einen gesellschaftlichen Wandel in einem Land. Indikatoren wie Bildung, soziale Vernetzung, Anteil junger Menschen, Rolle der Frauen zeigen, inwieweit eine Gesellschaft die Unzufriedenheit auch in politische Aktionen umsetzen könnte.
Unter den 30 untersuchten Emerging Markets ragt die Region Nordafrika und Mittlerer Osten bei beiden Kriterien heraus. Es gibt also einen starken Druck und entsprechende Mittel zur Veränderung. Coface kommt zu dem Ergebnis, dass die Stabilität der Region stark bedroht bleibt. Insbesondere Länder, in denen Regime die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht erfüllen konnten, sind Kandidaten für einen Machtwechsel. Nigeria, Russland, Kasachstan und China weisen derzeit ähnliche oder höhere Frustrationsgrade auf als Tunesien oder Ägypten. Die Fähigkeit zum Wandel ist hier aber weniger ausgeprägt. Dies begrenzt die Möglichkeit, Unzufriedenheit in einen radikalen politischen Umbruch münden zu lassen.
Seit 2008 setzen Schwellenländer Mittel zur Kapitalkontrolle und protektionistische Maßnahmen ein, um ihre Wirtschaft vor externen Entwicklungen zu schützen. Im Falle Brasiliens wurde der Zufluss von Portfolioinvestitionen durch Steuern gebremst, um die weitere Aufwertung der Währung zu verhindern. Zugleich wurden aber auch Importe durch Lizenzierungen oder eine Begrenzung der Devisenverfügbarkeit erschwert. Dies stellt auch ein Risiko für Unternehmen dar, die mit längeren Zahlungsfristen rechnen müssen.
Russland, Argentinien und – in einem geringeren Ausmaß – Indien haben bei weitem den höchsten Grad an Protektionismus. Dazu zählt neben Importlizenzen, -quoten und -steuern auch die Bevorzugung inländischer Anbieter. Mexiko, Südafrika und die Türkei sind dagegen weiterhin weitgehend offen für den internationalen Handel. Bei restriktivem Verhalten von Ländern können sich Zahlungsverzögerungen noch weiter ausdehnen. Zudem erhöhen sich für Exporteure die Barrieren des Zugangs zu diesen Ländern. Dies bremst auch europäische Unternehmen, die nach Wachstumsmöglichkeiten suchen.
Die expansive Geldpolitik in Wachstumsmärkten seit der Krise 2008/2009 und Versäumnisse in der Kontrolle haben für eine stetige Zunahme der Bankkredite gesorgt bis hin zur Bildung von Kreditblasen. Beim Vergleich des Kreditvolumens und des Kreditwachstums als Indikatoren für eine Kreditblase sieht Coface die Schwellenländer in Asien am meisten gefährdet.
Dies gilt vor allem für Malaysia, Thailand und – mit etwas geringerer Ausprägung – Südkorea, China und Taiwan. Obwohl das Volumen der Kredite an den privaten Sektor in anderen Ländern nicht so hoch ist, wächst es dennoch schnell. Chile, die Türkei, Russland und Venezuela stehen ebenfalls kurz vor einem Kreditboom. Das Entstehen einer Kreditblase muss zwar nicht zwangsläufig in einer Krise münden. Doch die Wahrscheinlichkeit einer mittelfristigen Marktanpassung steigt.
Die Wachstumsdynamik und die Verbesserung der Fundamentaldaten bedeuten nicht das Ende des Länderrisikos in den Schwellenländern. Neue Risiken müssen in den kommenden Jahren berücksichtigt werden: Politische Instabilität in Nordafrika und im Nahen Osten, Protektionismus in Argentinien und Russland sowie Kreditblasen in Asien müssen in die Analyse einbezogen werden.
Kontakt: dirk.broeckelmann[at]coface.de