Russland erfährt zurzeit in Verbindung mit der Errichtung der Eurasischen Zollunion einen umfassenden Umbau im Zollbereich, der Erleichterungen, aber auch neue bürokratische Hürden mit sich bringt. Vor dem Verschicken der Ware nach Russland sollte eine sehr gründliche Zollanalyse durchgeführt werden, um die Hürden und Risiken bei der Ausfuhr zu minimieren. Mit Sven-Boris Brunner, Mitglied der Geschäftsleitung von Hellmann East Europe, sprach Sylvia Röhrig, Redakteurin ExportManager, F.A.Z.-Institut.
Interview mit Sven-Boris Brunner, Mitglied der Geschäftsleitung, Hellmann East Europe GmbH & Co. KG
Herr Brunner, wie hat Hellmann East Europe die Wirtschafts- und Finanzkrise überstanden?
Unser Kerngeschäft, die Transportabwicklung und Erbringung logistischer Leistungen nach Osteuropa, ist stark auf den Markt Russland fokussiert. So haben wir natürlich den Einbruch des russischen Außenhandels deutlich zu spüren bekommen. Aber wir haben die Krise genutzt, um den Vertrieb auszubauen und Neugeschäft zu generieren. Wir haben in anderen Ländern, z.B. in Aserbaidschan, Nebenmärkte entwickelt. Und wir waren innovativ und haben neue Produkte kreiert. In Russland haben wir dafür zusätzliche Spezialisten an Bord genommen.
Welche neuen Produkte waren das?
Ein Beispiel ist die Gründung der Hellmann-East-Distributor-Plattform. Das ist ein akkreditiertes bzw. registriertes Handelsunternehmen, das als Außenwirtschaftsteilnehmer in Russland agieren kann. Über diese Plattform können Importe abgewickelt werden und mit russischem Kaufvertrag im Land weiterverkauft werden. Wenn der Garantiefall eintritt, können wir mit dem deutschen Kunden abrechnen. Mit der Distributor-Plattform haben wir auch schon in der Krisenzeit einen großen Durchbruch erreicht, denn der „Aftermarket“, also der Wartungsbereich, ist weitergelaufen.
Wie macht sich nun der Aufschwung bemerkbar?
Seit Anfang des Jahres erholt sich die russische Wirtschaft spürbar. Viele ausgesetzte Großprojekte, für die Gelder zurückgestellt wurden, werden jetzt weitergeführt. Das macht sich in verschiedenen Bereichen bemerkbar: im Maschinen- und Anlagenbau, bei Agrarmaschinen und Pharmaausrüstungen, Elektrowerkzeug und auch Konsumgütern. Wir spüren bereits jetzt durch die steigende Nachfrage eine Verknappung der Transportkapazitäten. In den nächsten Monaten erwarten wir eine Jahresendrallye im Export. Unsere Kunden berichten von vielen Projektabschlüssen im Anlagenbau. Viele weitere Geschäfte befinden sich in der Anbahnung.
Wo sehen Sie interessante Geschäftsperspektiven in Russland?
Besonders interessant ist der Bereich Automotive Logistics. Wegen der schwachen Logistikperformance Russlands (große Mängel hinsichtlich Sendungsverfolgung, Track & Tracing und IT) und der Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu rekrutieren, ist es für Industrieunternehmen von Vorteil, gewisse Funktionen z.B. an Logistikdienstleister outzusourcen, die die gesamte Logistikkette abdecken und für eine transparente und zuverlässige Belieferung der Betriebe sorgen. Wir haben insbesondere während der Krise maßgeschneiderte Lösungen für die Automobilindustrie weiterentwickelt. Wir beliefern Fertigungsbetriebe in Kaluga, einen russischen Automobilcluster, wo sich OEMs und Zulieferer angesiedelt haben. Wir beschaffen Komponenten von Second-Tier-Lieferanten z.B. in Spanien und Tschechien, nehmen die Qualitätskontrolle vor, bringen die Sendungen zusammen, erstellen eine Zoll- und Transitdokumentation, verzollen und liefern nach dem „Just-in-Time-Prinzip“ ans Band.
Ausländische Unternehmen kritisieren die bürokratische Zollabwicklung bei der Einfuhr von Gütern. Vor dem Hintergrund des angestrebten WTO-Beitritts hat Russland Zusagen für die Anpassung von nationalen Bestimmungen an die WTO-Erfordernisse gemacht. Konnten Sie in den vergangenen Jahren in der Praxis feststellen, dass der Export von Deutschland nach Russland einfacher geworden ist?
Die Verhandlungen zwischen Russland und der WTO befinden sich bereits im 17. Jahr (!). Es wurden bislang lediglich kleine Fortschritte im Bereich der technischen Zollabwicklung gemacht. Vereinfachungen wurden z.B. durch die Übernahme von Einheitspapieren erzielt, ein Ergebnis der Zusammenarbeit der WTO mit den föderalen Zollbehörden. Mit der Einführung des neuen Zollkodexes im Jahr 2004 wurde auch die Bearbeitungszeit bei der Zollabfertigung verkürzt. Diese liegt heute zwischen zwei Stunden und drei Tagen.
Einen großen Fortschritt bringt die Einführung der elektronischen Zollabwicklung, die sich seit 2010 zunehmend durchsetzt. Hierdurch ist der Verzollungsprozess viel einfacher und transparenter geworden. Der Zöllner bekommt per Internet die elektronischen Dokumente zugeschickt. Rückfragen erfolgen per Internet mit dem Deklaranten. Früher konnten Zöllner Deklarationen mit schwammigen Begründungen unbearbeitet liegenlassen. Durch die Einführung der elektronischen Zollabwicklung ist das nicht mehr möglich. Die Willkür der Zöllner ist eingeschränkt worden.
Wo liegen heute noch die größten Hemmnisse im Handel mit Russland?
Ein zentrales Problem ist, dass die Russen ihren eigenen Zollkodex beibehalten. Auch im Rahmen der Eurasischen Zollunion wurde der russische Zollkodex adaptiert ohne eine entsprechende Übernahme von WTO-Standards. Da gibt es noch großen Anpassungsbedarf. Mangelnde Transparenz und viele nichttarifäre Handelshemmnisse stellen große Hürden dar und führen zu einem hohen Beratungsbedarf. Nichttarifäre Handelshemmnisse entstehen vor allem bei der Produktzertifizierung und bei der Bestimmung des Basishandelswerts (DDU-Wert/Delivery Duty Unpaid).
In Russland gibt es ein Gesetz zur Korrektur des Basishandelswerts. Die russischen Zollbehörden korrigieren diesen oft nach oben auf Grundlage ihrer eigenen Datenbanken. Das kann zu Abweichungen im zweistelligen Prozentsatzbereich führen und deutlich höhere Kosten zur Folge haben. Von daher ist es wichtig, im Vorfeld der Lieferung in Zusammenarbeit mit den Zollbehörden eine umfassende Zollanalyse durchzuführen.
Was sollte ein deutscher Exporteur beim Eintritt in den russischen Markt beachten?
Deutsche Exporteure liefern zunehmend „DDP“ (Delivery Duty Paid), d.h. verzollt ans Werk. Sie tun dies zum einen aus Compliance-Gründen, zum anderen, weil der russische Kunde anspruchsvoll geworden ist und nichts mehr mit der Verzollung zu tun haben möchte. Die „Frei-Haus-Lieferung“ erfordert aber, dass das deutsche Unternehmen in Russland mit einer juristischen Person, die als Außenwirtschaftsteilnehmer registriert ist, vertreten ist. Die Gründung einer Vertriebsgesellschaft kann zwei bis sechs Monate dauern und verursacht hohe Fixkosten. Ein alternativer Weg ist, den Import über einen russischen oder einen deutschen Partner vorzunehmen. Hellmann East Europe Distributor bietet seit Anfang 2009 für exportierende Unternehmen, die diese Fixkosten meiden wollen, diese Dienstleistung an.
Wie lange dauert die Lieferung einer Maschine von Deutschland nach Russland – z.B. in die Region Moskau?
Der physische Transport eines Gutes nach Russland ist relativ unproblematisch und kann innerhalb von fünf bis sieben Tagen abgewickelt werden. Was besonders wichtig ist im Handel mit Russland, ist die Vorarbeit zur logistischen Leistung bzw. die Vorprüfung der Lieferung. Das gilt insbesondere, wenn der deutsche Lieferant „DDP“ liefern möchte oder muss, weil es der Kunde so wünscht.
Zu den Vorarbeiten gehört eine umfassende Zollanalyse, bei der verschiedene Indikatoren (Basishandelswert, Zollwert, Zollsatz, Zolltarifnummern etc.) ermittelt werden müssen. Zudem müssen Produktzertifikate eingeholt werden. Bei größeren Projekten bedarf es eines Klassifikationsentscheids z.B. für die Systemkomponenten der Anlage. Denn der Zoll betrachtet die Komponenten einzeln und erhebt darauf verschiedene Zollsätze.
Einer unserer Kunden hat vor kurzem aus Compliance-Gründen seine Lieferungen nach Russland auf „DDP“ umgestellt. Es handelte sich um mehrere tausend Werkzeugartikel. Die Erstellung des Importkonzepts einschließlich Zollanalyse und Produktzertifizierung dauerte drei Monate. Diese Vorarbeiten sind unerlässlich, um eine reibungslose Lieferung bis zum russischen Kunden durchführen zu können.
Mit der Einrichtung der Eurasischen Zollunion seit Januar 2010 findet ein umfassender Umbau im Zollbereich statt. Welche wesentlichen Vorteile ergeben sich daraus?
Ein klarer Vorteil, der in diesem Jahr bereits zum Tragen kommt, ist, dass die Zollgrenzen innerhalb der Eurasischen Zollunion gefallen sind. Güter mit russischer Zolldeklaration können z.B. von Moskau ohne weitere Zollbehandlung nach Kasachstan eingeführt werden.
Ein weiterer interessanter Ansatz – allerdings noch nicht in den Durchführungsverordnungen umgesetzt – ist das Konstrukt des „zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten“. Mit diesem Status wird es in Zukunft möglich, dass z.B. bei einer Zertifizierung die importierten Waren nicht mehr physisch ins Zollterminal gefahren werden müssen, sondern direkt an das Lager des Endkunden geliefert werden können. Voraussetzung wird allerdings die Hinterlegung einer hohen Bankbürgschaft in der Größenordnung von 20 Mio Rubel (ca. 0,5 Mio Euro) sein, was wegen der hohen Zinsen mit erheblichen Kosten verbunden sein wird. Angesichts exorbitanter Zollterminalgebühren dürfte dies dennoch für große Unternehmen attraktiv sein.
Welche Probleme gibt es bei der Umsetzung der Zollunion?
In den Teilnehmerländern der Zoll-union gibt es für viele Fragen noch keine Durchführungsverordnungen. So kann es bei der Umstellung der Abläufe zu chaotischen Verhältnissen kommen. Ein Beispiel ist der Umbau der Zollabfertigungsstellen. Ein weiteres Beispiel ist die Ersetzung der Hygienezertifikate durch die staatliche Registrierung. Ein dritter Problembereich ist, dass es keine einheitlichen Standards für Produktzertifikate innerhalb der Eurasischen Zollunion gibt.
Welche Schwierigkeiten gibt es speziell bei der Zollabfertigung?
In Russland werden derzeit im Rahmen der Revision Zollterminals geschlossen bzw. zusammengelegt und die Zahl der Zöllner kräftig reduziert. Es gibt aber weder ein klares Konzept für die zukünftige Organisation der Zollabfertigung innerhalb der Zollunion noch verbindliche Durchführungsbestimmungen dazu. Angesichts der Unsicherheiten über die langfristige Entwicklung der Zollunion scheuen sich die privaten Betreiber, in neue Zollterminals zu investieren. Das führt zu erheblichen Engpässen in der Zollinfrastruktur, zu hohen Wartezeiten und steigenden Terminalgebühren. Wegen der Verknappung der Kapazitäten in Moskau verlagern wir derzeit unsere Zollteams nach Smolensk und Kaluga. In St. Petersburg sind wir nach wie vor mit unseren Teams und Zolldeklaranten präsent.
Was ist hinsichtlich der Einführung der staatlichen Registrierung zu beachten?
Unter den alten Regeln mussten bei der Einfuhr bestimmter Produkte Hygiene-bescheinigungen beim Zoll vorgelegt werden. Durch die Eurasische Zollunion wurden die Hygienezertifikate abgeschafft. Dafür wurde ein neuer Mechanismus, die staatliche Registrierung, aufgesetzt. Hier ist es zu einer Reihe von Ungereimtheiten und neuem bürokratischem Aufwand gekommen. Das Thema hat jüngst einigen Unternehmen große Probleme bereitet und bedarf einer guten Analyse.
Eine spezifische Hürde bei der Einfuhr nach Russland stellt die für viele Güter verlangte Produktzertifizierung dar. Sind diesbezüglich Erleichterungen in Sicht?
Die Produktzertifizierung nach russischem GOST-R-Standard ist ein aufwendiges und kostspieliges Verfahren. Die russische Regierung hat Erleichterungen angekündigt, weil sie ausländische Investoren ins Land holen möchte. Am 25. September ist der russische GOST-R-Standard für Maschinen in technischen Reglements aufgegangen, deren Anwendung sich in der Zollpraxis erweisen wird. Angestrebt werden auch einheitliche Bestimmungen im Rahmen der Zollunion. Diese sollen im November vorliegen. Bestrebungen zur Vereinfachung des Verfahrens sind da, aber man weiß heute nicht, wie sich das Thema in den nächsten Jahren entwickeln wird. An der Produktzertifizierung in Russland hängt ein Wirtschaftszweig, der über eine starke Lobby verfügt und nicht daran interessiert ist, seinen eigenen Ast abzusägen.
Ist die Korruption bei der Ausfuhr nach Russland immer noch ein relevantes Thema?
Die Korruption verliert dank der höheren Transparenz bei der Zollabwicklung in Verbindung mit der elektronischen Verzollung immer mehr an Bedeutung. Aber der bürokratische Aufwand, der bei der Einfuhr von Gütern nach Russland anfällt, ist nach wie vor enorm. Die Eurasische Zollunion hat diesbezüglich kaum Erleichterungen gebracht. Um reibungslos durch den russischen Zoll zu kommen, müssen endlos viele Dokumente beigebracht werden. Unternehmen scheuen sich deswegen vor dem Markteintritt. Die Hürden und Risiken des Russland-Geschäfts können jedoch durch eine gute Vorbereitung mit klarem Konzept, einer transparenten Kalkulation und sicheren Prozessketten ausgeräumt werden.
Kontakt: sven-boris.brunner[at]de.hellmann.net