Die Europäische Union hat am 3. Juni 2022 als Antwort auf den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine zusätzliche Sanktionen gegen Russland und Belarus beschlossen (sechstes Sanktionspaket). In Fortsetzung unserer drei Beiträge (Ausgabe 2/2022, S. 23 ff., Ausgabe 3/2022, S. 25 ff. und Ausgabe 4/2022, S. 17 ff.) werden die Auswirkungen dieses EU-Embargos für Exporteure in der EU aufgezeigt; hierzu werden Thesen zum Russland-Geschäft ergänzt.

Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)

Ausgangsfall 1: D in Deutschland möchte die Chemikalie Chlor (größer 90 Gewichtsprozent) an den Kunden R in Russland liefern. R selbst ist nicht gelistet, aber der gelistete Oli-garch O hält 50% der Anteile an R. Was muss D hierbei nach dem Russland-Embargo beachten?

Ausgangsfall 2: D in Deutschland möchte Ethylalkohol und Branntweine (ZTN 2208) aus Russland in die EU einführen.

Ausgangsfall 3: D in Deutschland hat Güter, die von Anhang XXIII der Russland-Verordnung (Russland-VO) erfasst waren, noch rechtzeitig im Mai 2022 (vor Auslaufen der Altvertragsregelung am 10. Juli 2022) nach Russland verbracht. Darf D-R, die russische Tochter von D, diese Ware in Russland jetzt abverkaufen?

Die neuen Russland-Sanktionen vom 3. Juni 2022

Bezüglich der Belarus-VO 765/2006 gibt es durch die VO 2022/877 ein neues Verbot von SWIFT-Dienstleistungen für vier Banken (Belagroprombank, Bank Dabrabyt, Entwicklungsbank der Republik Belarus und Belinvestbank); außerdem wird der Anhang V (mögliche militärische Endnutzer) neugefasst. Mit der VO 2022/876 wird der Anhang I der Belarus-VO (gelistete Personen) um zwölf Personen und acht Organisationen ergänzt.

Bezüglich der Ukraine-VO 269/2014 gibt es durch die VO 2022/880 eine geringfügige Änderung (eine neue Ausnahmevorschrift zum Bereitstellungsverbot). Mit der DVO 2022/878 werden die Listungen um 65 Personen und 18 Organisationen ergänzt, sodass jetzt insgesamt 1.175 (!) Personen und 101 Organisationen gelistet sind. Bei den 65 Personen geht es vor allem um führende Militärangehörige (insb. solche, die für die Kriegsverbrechen in Butscha verantwortlich sind) und Mitglieder eines Organs der Kollaboration mit russischen Besatzern im Oblast Cherson. Es geht außerdem um Redakteure von russischen Medien, die russische Propaganda verbreitet haben, und um Geschäftsleute bzw. Politiker und deren Familienangehörige. Zu den 18 neu gelis-teten Firmen gehören u.a. die folgenden bekannten Firmen: UAZ (russischer Automobilbauer), KAMAZ (Hersteller von Fahrzeugen und militärischer Ausrüstung) und Sukhoi (russischer Flugzeughersteller).

Bezüglich der Russland-VO 833/2014 gibt es wichtige Änderungen durch die VO 2022/879: Neu ist vor allem das Einfuhr- und Kaufverbot von Rohöl/Erdöl-erzeugnissen (aus Russland oder mit Ursprung Russland) nach Anhang XXV in die EU, die auf dem Seeweg in die EU transportiert werden (bis auf Weiteres gilt dies nicht für Öllieferungen per Pipeline). Hierfür gibt es zahlreiche Ausnahmen und Altvertragsregelungen für vor dem 4. Juni 2022 geschlossene Altverträge (bis zum 5. Dezember 2022 bzw. bis zum 5. Februar 2023 – etwas längere Fristen für Bulgarien und Kroatien). Neu ist auch das Verbot, Dienstleistungen der Wirtschafts- und Abschlussprüfung, Buchführung, Steuerberatung, Unternehmens- und PR-Beratung für in Russland niedergelassene Firmen/Einrichtungen (außer für russische Töchter von EU-Unternehmen) und für die Regierung Russlands zu erbringen.

Zusätzlich werden folgende Anhänge geändert:
• Anhang IV (Liste der möglichen militärischen Endverwender): Hier werden 90 zusätzliche Einrichtungen genannt
• Anhang VII (Liste der strategischen Güter): Hier wird eine neue Kategorie 9 (besondere Werkstoffe/Materialien) und Kategorie 10 (Werkstoffbearbeitung) eingeführt
• Anhang XIV (Banken mit SWIFT-Verbot): Zu den bisherigen sieben Banken (Otkritie, Novikombank, Promsvyazbank, Bank Rossya, Sofcombank, VEB, VTB) werden drei neue Banken hinzugefügt – und zwar Sberbank, Credit Bank of Moscow, JSC Russian Agricultural Bank (= Rosselkhozbank)
• Anhang XV (Medien mit Sendeverbot): Aufnahme dreier weiterer Sender
• Anhang XXI (Güter, die Russland erhebliche Einnahmen bringen könnten – Einfuhrverbot aus Russland für die EU): Aufnahme zwei weiterer Positionen

Bei den Finanzierungsartikeln gibt es ebenfalls einige Änderungen; die Änderungen betreffen vor allem die Artikel 5aa, 5c, 5h und 5m.

Zur Prüfreihenfolge (vgl. Beitrag in Heft 4/2022, S 17 ff.)

Bei den spezifischen Güterverboten ist zu berücksichtigen, dass neue Einfuhrverbote – zusätzlich zu den bisherigen nach Anhang XVII (Eisen und Stahl), XXI (Güter mit erheblichem Einnahmepotenzial für Russland), XXII (Kohleerzeugnisse) und XXIV (bestimmte chemische Erzeugnisse) – hinzugekommen sind, nämlich nach Anhang XXV für Erdöl/Erdölerzeugnisse.

Lösung Ausgangsfall 1

Güterprüfung: Die Chemikalie Chlor (CAS 7782-50-5, größer/gleich 90 Gewichtsprozent) ist gelistet von der neuen Kategorie 9 des Anhangs VII, sodass hier ein Verkauf- und Lieferverbot nach Art. 2a gilt. Da der EU-Gesetzgeber für diese neuen Positionen nach Kategorien 9 und 10 des Anhangs VII – wohl irrtümlich – in der VO 2022/879 keine neuen Altvertragsregelungen vorgesehen hat, würde dies bedeuten, dass die bisherige Altvertragsregelung (für vor dem 26. Februar 2022 geschlossene Verträge durch BAFA-Genehmigungsanträge bis zum 1. Mai 2022) an dieser Stelle bereits abgelaufen ist. Hier sollte unseres Erachtens dringend eine (noch nicht abgelaufene) Altvertragsregelung vorgesehen werden: Ohne Übergangsregelung dürfte dies verfassungsrechtlich ein Sonderopfer sein, das zur Entschädigung verpflichten könnte.

Personenprüfung: Zwar ist hier der Kunde R nicht gelistet, aber der gelistete O hält 50% der Anteile an R. Wegen des Überschreitens der 50%-Grenze ist R mittelbar ebenfalls gelistet, sodass R – ohne eine BAFA-Genehmigung – nicht beliefert werden darf. Nach den EU-Sanktionslisten-Richtlinien könnte D hier geltend machen, dass R deswegen nicht als im Eigentum bzw. unter Kontrolle des Gelisteten O stehend betrachtet werden sollte, weil R und O in verschiedenen Geschäftsbereichen tätig sind, sodass eine Weiterlieferung des Gutes von R an den gelisteten O wenig wahrscheinlich ist. In jedem Fall sollte die Belieferung von R nicht ohne eine BAFA-Anfrage stattfinden.

Lösung Ausgangsfall 2

Güterprüfung: Ethylalkohol (mit Alkohol unter 80% unvergällt) und Branntweine mit der ZTN 2208 sind jetzt vom Anhang XXI erfasst. Daher dürfen diese Güter aus Russland bzw. mit Ursprung Russland nicht in die EU verkauft bzw. dorthin geliefert werden. Vor dem 9. April 2022 geschlossene Altverträge konnten allerdings noch bis zum 10. Juli 2022 erfüllt werden.

Personenprüfung: Der Kunde R und seine Anteilseigner sowie Geschäftsführer dürfen weder auf den Anhängen der Ukraine-VO gelistet sein noch auf Anhängen der Russland-VO, v.a. nicht auf Anhang IV (militärische Endverwender) oder Anhang XIX (staatseigene Unternehmen, mit denen jeglicher Handel verboten ist). Alle involvierten Dienstleister (v.a. Banken) – und ihre Anteilseigner/Geschäftsführer – müssen ebenfalls gegen Sanktionslisten geprüft werden.

Lösung Ausgangsfall 3

Art. 3k Abs. 1 verbietet nicht nur den Export von Anhang-XXIII-Ware nach Russland, sondern auch deren Verkauf in diesem Land. Unseres Erachtens gilt die Altvertragsregelung von Art. 3k Abs. 3 hier nicht, weil jetzt allein auf den Verkauf in Russland abzustellen ist: Da die Ware erst im Mai 2022 in Russland eintraf, können die Kaufverträge durch D-R nicht vor dem 9. April 2022 geschlossen worden sein. Demnach kann die Altvertragsregelung hier nicht angewandt werden, sodass es beim Verbot nach Art. 3k Abs. 1 bleibt.

Thesen zum Russland-Geschäft

These 1 – ständige Änderungen: Täglich können sich die Russland-Sanktionen verschärfen, sodass der Russland-Export, der gestern noch zulässig gewesen war, morgen schon verboten ist; daher sind ständige Überprüfungen erforderlich, sodass selbst ein vor Kurzem erteilter BAFA-Bescheid im Zweifel einer neuen Überprüfung (wegen eines neuen Sanktionspakets) bedarf. Gleichzeitig ist die Anzahl der Genehmigungs-anträge beim BAFA „explodiert“, nach Schätzungen von Mitarbeitern auf etwa das Acht- bis Zehnfache des bisherigen Umfangs, was auch zu Überlastung geführt haben soll.

These 2 – strikte Prüfung der Altvertragsklauseln: Die Beratungserfahrungen zeigen, dass die Altvertragsklauseln sehr streng geprüft werden müssen. Wenn nämlich der zugrundeliegende Vertrag nicht die Kernpunkte des Kaufvertrags – genaue Nennung des Gutes, seiner Stückanzahl und seines Preises – exakt regelt, ist im Zweifel auf die spätere Auftragsbestätigung abzustellen. Hier kam es bereits aufgrund falscher Annahmen bzgl. des Vertragsdatums zu einigen Verstößen.

These 3 – besonders strenge Prüfung der Sanktionslisten: Im Russland- und Belarus-Geschäft sind Sanktionslisten besonders streng zu prüfen, v.a. auch im Hinblick auf Anteilseigner: Sollte der Kunde selbst nicht gelistet sein, aber ein gelisteter Oligarch mindestens 50% der Anteile halten, darf der Kunde wegen mittelbarer Listung nicht beliefert werden.

These 4 – gründliche Prüfung aller Einkäufe: Die Einfuhrverbote nach den Russ-land-Anhängen XVII (Eisen und Stahl), XXI (Güter mit erheblichem Einnahmepotenzial für Russland), XXII (Kohle, Erz), XXIV (bestimmte chemische Erzeugnisse) und XXV (Öl) gelten nicht nur für die unmittelbare Einfuhr aus Russland bzw. für die un-mittelbare Einfuhr von Gütern mit Ursprung Russland, sondern auch für deren mittelbare Einfuhr. Das bedeutet, dass Firmen in der EU, die sich beliefern lassen, prüfen müssen, ob es sich um Güter aus Russland bzw. mit Ursprung Russland handelt und – wenn ja – ob diese Güter von einem der fünf Russland-Anhänge für Einfuhrverbote erfasst sind. Hierfür bieten sich u.a. vertragliche Absicherungen an.

These 5 – gründliche Prüfung aller Verkäufe: Sollte ein Gut von einem der Russ-land-Anhänge II (für Erdölförderung), VII (strategische Güter), X (Ölraffination), XI (Luft- und Raumfahrt), XVI (Meeres- und Schiffstechnik), XVIII (Luxusgüter), XX (Kraftstoffe) und XXIII (Güter zur Stärkung der industriellen Kapazität Russlands) erfasst sein, gilt nicht nur ein Lieferverbot, sondern auch ein Verkaufsverbot. Daher muss vor jedem Verkauf – auch vor jedem mittelbarem Verkauf – gründlich geprüft werden, ob die Güter von einem dieser Anhänge erfasst sind. Wenn vor Abgabe eines Angebotes eine solche Prüfung nicht möglich ist, darf das Angebot nur aufschiebend bedingt erfolgen, um einen Embargoverstoß zu vermeiden.

These 6 – strikte Prüfung aller Lieferungen: Nicht nur Direktlieferungen nach Russland, sondern selbst Lieferungen innerhalb Deutschlands bzw. innerhalb der EU, bei denen Anhaltspunkte für eine mögliche Weiterlieferung nach Russland bestehen, sind gründlich darauf zu überprüfen, ob sie von einem der genannten acht Russland-Anhänge erfasst sind, evtl. können auch hier sehr strikte vertragliche Vereinbarungen helfen.

Resümee

Beratungen durch Exportanwälte sind häufig sehr ratsam. Dabei sollte unbedingt das Risiko von Embargoverstößen und möglichst auch von unnötigen BAFA-Genehmigungsanträgen vermieden werden. Wegen aktueller Hinweise zum Russland-Embargo vgl. HIER und zum EU-Exportrecht vgl. HIER

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