Viel Geld und schnellere Impfungen sollen die europäische Wirtschaft aus der Krise führen. In ihrer Frühjahrsprognose vom 12. Mai 2021 zeichnet die EU-Kommission ein optimistisches Bild. Für die Jahre 2021 und 2022 rechnen die Volkswirte mit einem realen Wirtschaftswachstum in der EU von gut 4%.
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Die Ärmel hochkrempeln will EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni und das hohe Tempo der Impfkampagne in der EU aufrechterhalten. In einer Presseerklärung zur Veröffentlichung der neuen Frühjahrsprognose verweist er auf die Auswirkungen des Investitionsprogramms „NextGenerationEU“ in diesem und im nächsten Jahr. Vor allem die fiskalische Unterstützung trage zu einem starken Wachstum bei.
Wachstumsprognose erhöht
Die Volkswirte in Brüssel gehen für 2021 von einem Anstieg des realen BIP um 4,2% in der EU und von 4,3% im Euro-Raum aus. Für das kommende Jahr erwarten sie jeweils ein Plus von 4,4%. In ihrer Winterprognose war die Kommission noch von Wachstumsraten zwischen 3,7% und 3,9% ausgegangen. Im vergangenen Jahr hatte die Wirtschaftsleistung in der EU um 6,1% abgenommen und die des Euro-Raums lag um 6,6% unter dem Niveau von 2019. Ausgehend von der rückläufigen Entwicklung im ersten Quartal 2021 wäre für die erwartete Zunahme der Wirtschaftsleistung ein kräftiges Wachstum in den kommenden Monaten nötig. Für die ersten drei Monate 2021 weist Eurostat einen Rückgang des realen BIP in der EU von 1,8% aus, für den Euro-Raum beträgt das Minus 2,1%. Besonders starke Rückgänge meldeten bislang Deutschland (–3,1%), Spanien (–4,3%) und Portugal (–5,4%). Dagegen konnte Frankreich um 1,5% zulegen.
Handelspartner im Fokus
Von den führenden deutschen Absatzmärkten wird Frankreich nach der Prognose der EU-Kommission 2021 am stärksten zulegen. Allerdings ging dem realen Wachstum um 5,7% auch ein deutlicher Einbruch der Wirtschaftsleistung um 8,1% im Vorjahr voraus. Dagegen folgt in den Niederlanden auf einen vergleichsweise milden Rückgang des realen BIP um 3,7% eine Erholung von nur 2,3%. Polen gelingt 2021 eine deutliche Belebung um 4,0% nach einem Minus von 2,7% im Vorjahr.
In der deutschen Exportstatistik schlägt sich die Erholung der Nachbarländer bereits in einer kräftigen Zunahme der Lieferungen im März 2021 nieder. Der Absatz in Frankreich nahm um 21,5% zu, in den Niederlanden betrug das Plus 20,6% und in Polen 22,5%. Insgesamt nahmen die innergemeinschaftlichen Lieferungen in andere EU-Staaten im März um 21,2% zu. Für das erste Quartal 2021 ergab sich ein Plus von 4,8%.
Staatliche Programme treiben Nachfrage
Eine wichtige Triebfeder des Aufschwungs sind staatliche Programme, die sowohl von den nationalen Regierungen als auch von der EU aufgelegt wurden. Dabei ging es zum einen um die Unterstützung von Unternehmen und Privathaushalten, die den Rückgang der Nachfrage dämpften. Zum anderen wurden aber auch umfangreiche staatliche Investitionen budgetiert und Ausgaben vor allem für Gesundheitsvorsorge und IT-Dienstleistungen getätigt.
Auf EU-Ebene treibt vor allem das Programm „NextGenerationEU“ die Konjunkturerholung und Stärkung der europäischen Wirtschaft voran. Insgesamt 750 Mrd EUR stehen den Mitgliedstaaten als Aufbau- und Resilienzfazilität sowie in einigen kleineren Fazilitäten (REACT-EU, rescEU, InvestEU etc.) bis 2026 zur Verfügung. Die Mitgliedstaaten haben dazu nationale Aufbau- und Resilienzpläne vorgelegt. Ziel sind Investitionen in eine grüne, digitale und resiliente EU. Der französische Plan setzt bspw. gut die Hälfte der Mittel für den Klimaschutz ein, z.B. für die Förderung von Energiesparmaßnahmen. Ein Viertel ist für die Digitalisierung von KMU und der Verwaltung vorgesehen. Zudem investiert die Regierung in die berufliche Bildung.
Da die USA und China mit wesentlich größeren Fiskalpaketen ihre ohnehin schon schneller wachsenden Wirtschaften antreiben, kommen aus Frankreich allerdings Forderungen nach einer Erhöhung des Aufbaufonds. Eine andere Möglichkeit könnte die weitere Lockerung der Defizitregeln der EU sein. Allerdings ist die Staatsverschuldung in der EU bereits auf über 90% der jährlichen Wirtschaftsleistung gestiegen. In der Euro-Zone sind es knapp 100%.
Eine langfristige Perspektive für die europäische Industrie sucht die EU-Kommission in Allianzen mit privaten Unternehmen. Zunächst stand die Versorgung mit leistungsfähigen Batterien für E-Mobilität im Vordergrund, was zur Gründung der Batterie-Allianz führte. Nach der Verknappung des Angebots von elektronischen Speicherchips will der für Industrie zuständige EU-Kommissar Thierry Breton nun eine Halbleiter-Allianz gründen. Im Zuge der Digitaloffensive sollen bis 2030 mindestens 20% des Bedarfs an besonders leistungsfähigen Halbleitern in der EU gefertigt werden. Weitere Allianzen sind für die Produktion und Anwendung von Wasserstoff sowie zur Entwicklung von Cloud-Lösungen geplant.
Dabei geht es allerdings nicht allein um Versorgungssicherheit und die Festigung von Lieferketten. Hier wären laut EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis lediglich 30 Produkte zu betrachten. Auch die Konkurrenz zu Amerika und Asien wird zur Begründung europäischer Lösungen herangezogen. Denn vor allem in Asien – insbesondere in China – erhalten die dortigen Anbieter umfangreiche staatliche Unterstützung, die ihnen Wettbewerbsvorteile verschafft. In den USA hat sich die Politik ebenfalls auf die Förderung der eigenen Industrie ausgerichtet. Im Fall der Cloud-Lösungen spielt auch der Datenschutz eine Rolle. Ob der Aufbau strategischer Allianzen die Zukunft der europäischen Industrie sichert, ist jedoch umstritten.
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