Am 17. Mai 2023 verkündete die EU-Kommission Wegweisendes – einen Vorschlag für die umfassendste Überarbeitung der EU-Zollunion seit ihrer Gründung im Jahr 1968. Jenseits der prunkvollen Rhetorik, die solche Ankündigungen oft begleitet, sind die Details entscheidend. Was sind die Hauptziele dieser ehrgeizigen Reform und v.a., wie wird sie Importeure und Exporteure beeinflussen?

Seit der Veröffentlichung des Berichts der Wise Persons Group im März 2022 durch die Kommission hat die EU-Zollreform an Fahrt aufgenommen. Der Bericht zeichnete ein eher kritisches Bild vom Zustand der Zollunion und legte zehn konkrete Vorschläge vor, um sie für ihre künftige Ausrichtung robuster zu gestalten. Viele Beobachter hatten jedoch nicht unbedingt mit einer derart plötzlichen Ankündigung gerechnet. Aktuelle Ereignisse dürften die Agenda der EU-Kommission durcheinandergeworfen und die Dringlichkeit für eine verbesserte Zollunion unterstrichen haben.

Doch die Herausforderungen sind enorm. Die Zollunion leidet unter einem strukturellen Mangel an Harmonisierung, angefangen bei elektronischen Systemen bis hin zur Umsetzung von Zollmaßnahmen. Die europäischen Zollbehörden arbeiten derzeit nicht als Einheit, was besonders nachteilig für Unternehmen ist und ernsthafte Fragen u.a. bzgl. des Datenschutzes aufwirft.

Gleichzeitig sind die Zollbehörden immer stärker mit einer wachsenden Palette von Aufgaben belastet. Dies wird durch einen drastischen Anstieg des Handelsvolumens verschärft, der größtenteils durch das hohe Wachstum des E-Commerce getrieben wird. Dadurch ist auch der Anpassungsbedarf für die EU-Zollbehörden hoch. Schließlich wurden die frühen 2020er Jahre auch von tiefgreifenden Veränderungen im geopolitischen Umfeld geprägt (Brexit, Corona, Ukraine-Krieg). Diese Schocks haben gezeigt, dass die EU-Zollunion nicht gut auf das neue globale Regime vorbereitet war.

Alte Zollreform noch in Umsetzung

Die EU hat die Zollreform von 2013 zwar umgesetzt. Sie führte den Unionszollkodex (UZK) ein und beabsichtigte, die EU-Zollabwicklung in eine papierlose, integrierte und vollständig elektronische Umgebung zu bringen. Diese Reform reicht aber nicht aus, um der rasanten Entwicklung zu begegnen. Obwohl sie schon im Mai 2016 gestartet ist, läuft ihre Umsetzung noch und wird erst bis Ende 2025 abgeschlossen sein.

Angesichts der Dringlichkeit bleibt der EU-Kommission wohl nichts anderes übrig, nun viele Themen gleichzeitig anzugehen. Daher hat sie einen umfassenden Vorschlag an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat gerichtet, um den Unionszollkodex und eine Europäische Zollbehörde zu schaffen. Der Reformentwurf ist ziemlich komplex. In praktischer Hinsicht dreht sich alles um drei grundlegende Prinzipien.

1. Aufbau einer neuen Partnerschaft mit Unternehmen

Dieser erste Pfeiler dürfte für Importeure und Exporteure von großem Interesse sein. Die Ambitionen der Kommission bestehen hauptsächlich darin, Zollverfahren zu vereinfachen, einschließlich der Übermittlung von Daten im Zusammenhang mit dem Warenaustausch zwischen Händlern und Behörden.

Zwei Punkte sind besonders wichtig: Erstens sieht der Vorschlag die Sammlung von Daten in einem „EU Customs Data Hub“ vor, der ein umfangreiches Daten-Repository ergeben wird. Dieser virtuelle Datenspeicher soll es Händlern ermöglichen, Daten über eine einzige EU-Schnittstelle anstelle der derzeit in den 111 separaten Systemen der EU verwendeten Schnittstellen zu übermitteln. Die technischen Spezifikationen dieses neuen Datenhubs sind derzeit noch nicht bekannt.

Zweitens beabsichtigt die Kommission, das Konzept der „Trust & Check Trader“ einzuführen. Eine kleine Gruppe ausgewählter Händler wird von noch größeren Vereinfachungen profitieren, die den bürokratischen Aufwand minimieren sollen. Dieser Status soll die bereits bestehende Zertifizierung als Zugelassener Wirtschaftsbeteiligter (AEO) stärken. Auf den ersten Blick bleiben die Vorteile dieses neuen Status leider vage, und es besteht die Sorge, dass er die Hauptprobleme des AEO-Programms nicht lösen wird: das Fehlen konkreter Vorteile, die übermäßige Anzahl zertifizierter Unternehmen und die mangelnde Einheitlichkeit bei der Bewertung in den EU-Ländern.

2. Die Einführung eines intelligenteren Ansatzes für Zollkontrollen

Die Kommission bestreitet nicht, dass die EU-Zollunion eine strukturelle Modernisierung benötigt und dass alle EU-Zollverwaltungen derzeit erhebliche Herausforderungen bei ihrer Arbeit bewältigen müssen. Daher beabsichtigt sie insb., Künstliche Intelligenz zu nutzen und ein neues Governance-Framework für das Risikomanagement der EU einzurichten.
Die genauen Bedingungen für die Verwendung von KI bleiben jedoch im Unklaren. Was das neue Governance-Framework betrifft, wird ein Mechanismus eine harmonisierte Umsetzung des Risikomanagements und der Kontrollen an der gemeinsamen EU-Grenze für Waren sicherstellen, wobei der EU-Zoll-Datenhub unter Aufsicht einer neu geschaffenen Einrichtung, der EU-Zollbehörde, genutzt wird.

In der Praxis wird diese neue Einrichtung Zollexpertise auf zentraler Ebene bündeln, um das EU-Risikomanagement durchzuführen. Praktisch wird sie auch Kontrollempfehlungen an nationale Zollbehörden herausgeben, die verpflichtet sind, diese entweder umzusetzen oder ihre Nichtumsetzung zu begründen. Sie wird dann nur eine unterstützende und koordinierende Rolle spielen, was viele Fragen aufwirft.

Darüber hinaus soll die neue EU-Zollbehörde die operative Krisenbewältigung koordinieren, indem sie Protokolle für verschiedene Krisenszenarien entwickelt und deren Umsetzung sicherstellt. Dies soll Verwirrung verhindern, wie sie in den ersten Monaten der Corona-Krise sowie bei der Umsetzung der ersten Sanktionspakete gegen Russland aufgetreten ist.

3. Die Umsetzung eines moderneren Ansatzes im E-Commerce

Sämtliche EU-Zollbehörden scheinen vom Volumen des E-Commerce-Verkehrs überfordert zu sein. Nun soll ein maßgeschneidertes Zollregime hierfür eingeführt werden, um die Kontrolle zu erleichtern und Verantwortlichkeiten im Importprozess zu klären. Neue Verfahren werden implementiert, um das bestehende Regime weiter zu vereinfachen und es mit den Mehrwertsteuerregeln für den E-Commerce in Einklang zu bringen.

In der Praxis werden digitale Plattformen als „deemed importers“ (anstelle von Verbrauchern) festgelegt. Sie sind für alle Zollformalitäten und Zahlungen verantwortlich. Darüber hinaus wird eine vereinfachte Methode zur Berechnung der anfallenden Einfuhrabgaben für geringwertige Güter, die im Fernabsatz an Verbraucher verkauft werden, eingeführt.
Diese Methode basiert auf einem vierstufigen Staffelsystem mit entsprechenden Ad-Valorem-Zollsätzen von 5% (z.B. für Spielzeug, Haushaltswaren), 8% (z.B. für Seidenprodukte, Glaswaren), 12% (z.B. für Besteck, Elektromaschinen) und 17% (z.B. für Schuhe). Diese Änderung ermöglicht die Aufhebung der Zollbefreiung für Waren im Wert von bis zu 150 EUR, die derzeit eine Quelle für Zoll- und Mehrwertsteuerbetrug darstellt. Ziel ist es auch, den EU-Verbrauchern mehr Transparenz zu bieten und sie vor unangenehmen Überraschungen zu schützen.

Ein ehrgeiziger Zeitplan

Die Kommission plant, diese Reform in Etappen über die kommenden 10 bis 15 Jahre umzusetzen. Der erste Schritt ist für den 1. Januar 2028 anvisiert und umfasst die Einrichtung der EU-Zollbehörde und die Einführung des maßgeschneiderten Zollregimes für den E-Commerce, während der EU-Zoll-Datenhub seine erste, noch begrenzte Betriebsphase beginnen wird.

Im Jahr 2032 können alle Händler den EU-Zoll-Datenhub nutzen, und ab 2038 wird dies für alle Händler obligatorisch sein. Angesichts der Tiefe der Reform und der historisch langen Verzögerungen bei großen Zollreformen in der EU (UZK, E-Zoll etc.) handelt es sich um einen sehr ehrgeizigen Zeitplan.

Tatsächlich hat nach der Veröffentlichung des Reformvorschlags der Kommission der entscheidende Prozess der Trilog-Gespräche begonnen. Trilog-Gespräche beziehen sich auf informelle Dreiparteien-Treffen mit Vertretern der drei EU-Institutionen: der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union. In der Praxis werden sie durchgeführt, um einen Kompromiss über vorgeschlagene Gesetzgebungen zu erzielen und den Text eines Gesetzgebungsakts abzuschließen. In diesem Moment engagieren sich auch private Akteure in Lobbyingaktionen, die sich auf den endgültigen Text auswirken können. Um es auf den Punkt zu bringen: Die EU-Institutionen müssen einen Kompromiss finden, der i.d.R. Zeit in Anspruch nimmt und über die im Regulierungsvorschlag festgelegte anfängliche Frist hinausgeht.

Die offensichtlich mangelnde Durchführung informeller Konsultationen durch die Kommission zu diesem Zeitpunkt und die bereits öffentlich geäußerten Vorbehalte einiger wichtiger Interessenvertreter gegenüber der Reform (wie globaler Spediteure) deuten darauf hin, dass der Vorschlag wahrscheinlich erhebliche Änderungen aufgrund der Lobbyarbeit privater und institutioneller Akteure erfahren wird.

Fazit

Daher ist Vorsicht angebracht. Für E-Commerce-Unternehmen dürfte eine solche Reform tiefgreifende Auswirkungen auf ihr Geschäft haben. Daher ist es wichtig, deren Auswirkungen bereits jetzt zu bewerten, auch wenn dies nur ein erster Entwurf ist. Dies wurde auch schon gemacht, allein schon aus Lobbyismusgründen. Für andere Händler ist es zu diesem Zeitpunkt dagegen noch zu früh, Schlussfolgerungen zu ziehen, die zu einer Änderung der Strategie für die Verwaltung grenzüberschreitender Geschäftsaktivitäten führen würden. Es ist jedoch wichtig, über aktuelle Diskussionen auf dem Laufenden zu bleiben und eine Auswirkungsanalyse auf die eigenen Aktivitäten durchzuführen, sobald die endgültige Version der EU-Verordnung bekannt ist.

nicolas@welcometodojo.com

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