Lieferketten sollen resilienter, flexibler und günstiger werden, damit sie in schnelllebigen Zeiten von Disruption und Inflation bestehen können. Helfen kann die Digitalisierung. Aber es geht nur langsam voran.

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Wie so viele im Gastgewerbe litt auch die US-Restaurantketten-Holding Bloomin’ Brands sowohl unter den Einschränkungen der Corona-Pandemie als auch unter der ungewohnt hohen Inflationsrate. Um gegenzusteuern, digitalisierte die Holding mit rund 1.500 Restaurants und 93.000 Mitarbeitern ihr Lieferkettenmanagement grundlegend. Natürlich war die Supply Chain auch vorher schon „digital“. Doch es gab unterschiedliche Datensilos, sodass z.B. die eine Restaurantkette nicht wusste, was die andere tat. Hinzu kam, dass die Signale aus den Restaurants meist zeitverzögert in den Systemen ankamen. Eine Folge davon: der gefürchtete Peitschenhieb-Effekt.

Bei einem Peitschenhieb kann eine geringe Bewegung an der Knute eine große Auswirkung am Peitschenende haben. So ist es auch bei längeren Lieferketten: Werden in einem Monat 10% mehr Tomaten in den Restaurants gegessen, ist die Gefahr groß, dass der Restaurant-Einkäufer beim Großhändler nicht nur 10% mehr ordert, sondern – es könnte ja ein Trend sein – zur Sicherheit gleich 20% mehr bestellt.

Der Großhändler wiederum, in Erwartung, dass auch andere Restaurants mehr Tomaten nachfragen, bestellt gleich 30% mehr. Werden im Folgemonat aber nicht mehr Tomaten gegessen als zuvor, gibt es an den verschiedensten Stellen in der Lieferkette Überkapazitäten. Deutlich mehr Tomaten müssen gelagert oder entsorgt werden. Und weil das Zusatzkosten verursacht, steigen die Preise.

Halbierung der Lagerbestände

Bloomin’ Brands hat mit der Zusammenlegung aller Ordersysteme der Restaurantketten und einer Echtzeitanbindung von Restaurants, Distributoren, Lieferanten und Logistikern in einem Cloud-basierten System die Reaktionszeit deutlich verkürzt. Das Netzwerk generiert auf Basis aktueller Daten und per Künstlicher Intelligenz auch aus den Lehren der Vergangenheit automatisch alle Aufträge und managt sie entlang der gesamten Lieferkette. Dabei werden nicht nur die Lagerbestände aktualisiert, sondern auch die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Verladetouren usw. berücksichtigt. Die Restaurantleiter selbst müssen nur noch aktiv werden, wenn sie vor Ort neue Informationen haben, über die das System nicht verfügt. Angeblich hat es die Restaurant-Holding damit geschafft, mit 80% Treffergenauigkeit so gut zu planen wie niemand sonst in der Branche. Und die Lagerbestände konnten halbiert werden.

Cloud Computing und KI-gestützte Automatisierung sind nur einige der typischen Schlagworte, wenn es um die Digitalisierung der Supply Chain geht. Roboter sowie Sensor- und Ident-Technologien erhöhen die Geschwindigkeit im Handling und die Transparenz darüber, wo sich Ware an welcher Stelle der Lieferkette befindet. Auch das Internet of Things (IoT) und der 3-D-Druck optimieren die Lieferkette, weil Herstellprozesse verkürzt werden können. Die Themen sind nicht neu, schon seit Jahren arbeiten Großunternehmen an der digitalen Transformation ihrer Lieferkette. Bosch rief vor mehr als fünf Jahren „SaSCh“ ins Leben, um den Materialfluss „von der Quelle bis zur Senke“ mit autonom sendenden Ladungsträgern durchgängig zu digitalisieren. BMW kündigte bereits Ende 2016 die „Connected Supply Chain“ an.

Deutschland hinkt hinterher

Doch das Thema ist in der Breite noch nicht angekommen. In Deutschland, ergab die Logistikstudie des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) Ende 2022, sind die Vorteile und Technologien digitaler Lieferketten den befragten Unternehmen zwar bekannt – und ihr Einsatz auch bei mehr als der Hälfte geplant –, bis dato aber noch relativ wenig verbreitet.

In den USA ist das Bild nicht grundlegend anders: Laut „Digital Trends in Supply Chain Survey 2023“ von PwC hat zwar mehr als die Hälfte der befragten US-Produktionsunternehmen bereits Cloud-basierte Datenplattformen und das IoT im Einsatz. Aber nicht einmal ein Viertel nutzt bislang KI für die eigene Supply Chain; RFID zum Tracken bspw. von Waren ist nur bei 22% umgesetzt, Robotik erst bei 16%. Die US-Konsumgüterhersteller sind laut PwC erwartungsgemäß weiter: 57% nutzen demnach schon KI und Machine Learning, 51% RFID, 37% Robotik. Dennoch sind die befragten US-Entscheider ernüchtert, schreibt PwC: 83% gaben an, dass die Tech-Investitionen in die Supply Chain ihre Erwartungen nicht voll erfüllt hätten.

Mangelnde Qualifizierung der Mitarbeiter

Für die Zurückhaltung (und manchmal auch Enttäuschung) gibt es viel Gründe: etwa die mangelnde Qualifizierung der Mitarbeiter oder ein zu kurzfristiger Blick auf die Beseitigung aktueller Probleme statt einer grundlegenden, auf Langfristigkeit angelegten Transformation. Oft ist die Aufgabe auch einfach zu komplex. Denn sobald einmal die gegenseitigen Wechselbeziehungen innerhalb einer Lieferkette herausgearbeitet sind, werden Medienbrüche und Datensilos deutlich.

Relevante Daten über ein Frachtschiff sind nur dem Logistiker zugänglich, andere Daten nicht digital vorhanden oder gar nicht verfügbar. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie sehr Unternehmen auch von der zweiten und dritten Ebene der Zulieferer abhängig sind. Diese geben ihre Daten aber selten weiter – oft genug, weil sie es gar nicht können. Und selbst wenn alle relevanten Daten zugänglich sind, müssen die unterschiedlichen Lieferkettenglieder an ein System angeschlossen werden und sich auch zentral steuern und ausführen lassen, um Zeit zu sparen.

Dennoch geht kein Weg an einer smarteren Lieferkette vorbei, denn der Bedarf an Daten wird noch wachsen.

Dabei geht es nicht mehr allein um Lagerbestände, Frachtkapazitäten und Produktionskapazitäten, sondern auch um Nachhaltigkeitszertifikate oder Energieverbräuche. Unternehmen können in einer smarten Lieferkette erkennen, welche Maschinen wie lange nicht gebraucht werden. Wenn dann noch der Energieverbrauch dieser Maschinen bekannt ist, könnten besonders energieintensive Maschinen rascher abgeschaltet werden. Auch das Ziel, die Lieferkette zu re-regionalisieren (Englisch: Nearshoring und Reshoring), wird angesichts begrenzter Lager- und Lieferkapazitäten mit einem digitalen Supply Chain Management besser umzusetzen sein.

Nur die Digitalisierung hilft

Die wirklich smarte Supply Chain wird es so schnell nicht geben. Doch nur die Digitalisierung kann die Abhängigkeit von einzelnen Lieferkettengliedern reduzieren, dem gestiegenen Kundenbedürfnis nach Sofortlieferung entsprechen und zugleich die Preise dank reduzierter Lagerbestände senken. Immerhin: Viele Unternehmen sammeln bereits wertvolle Erfahrungen und können ihre Lieferketten damit optimieren. Die Unternehmen, die nur kurzfristig Lieferkettenelemente flicken, werden mittel- und langfristig nicht mehr mithalten können. In der Bekleidungsindustrie zeigen chinesische Unternehmen wie Shein und Temu, wie modernes Lieferkettenmanagement geht – und wie die Überlebenschance manch etablierter Modehandelskette gerade schwindet.

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Bank. Den dazugehörigen Link finden Sie HIER

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