2014 wird Brasilien Gastgeber der Fußballweltmeisterschaft sein. Doch das Land ist alles andere als in Feierlaune. Während Brasilien noch bis vor ein paar Jahren als vielversprechender Aufsteiger bei internationalen Investoren galt, hat es heute mit einer schwächelnden Wirtschaft und wachsenden Bürgerprotesten zu kämpfen. Damit mehr Investitionen fließen und Produktivitätszuwächse zum Tragen kommen, braucht das Land einschneidende Reformen. Diese sind im Vorfeld der Wahlen 2014 aber kaum zu erwarten.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Seit mehr als einem Jahrzehnt dominiert die linksgerichtete Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores – PT) die nationale Politik in Brasilien. Präsidentin Dilma Rousseff kam im Januar 2011 an die Macht. Sie gewann die Wahlen vor allem dank der Unterstützung ihres immens populären Amtsvorgängers Lula da Silva, der das Land acht Jahre lang regierte. Unter der Herrschaft der PT erlebte Brasilien ein rasantes Wirtschaftswachstum und eine beispiellose Verringerung von Armut und Ungleichheit: Etwa 35 Millionen Brasilianer konnten der Armut entkommen und in die untere Mittelklasse aufsteigen. Diese günstigen Bedingungen führten zu einer Phase relativer politischer Stabilität.

Dies änderte sich Anfang Juni 2013, als ein friedlicher Protest gegen die Anhebung der Bustarife in São Paulo von der unpopulären Militärpolizei gewaltsam auf­gelöst wurde. Überall im Land fanden ­Proteste gegen die polizeiliche Unter­drückung, die schlechte öffentliche Versorgung, die Korruption und die hohen Ausgaben für die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele 2016 statt.

Die Zustimmung zur Amtsführung von Dilma Rousseff schrumpfte von einem Allzeithoch von 65% im März 2013 auf lediglich 30% im Zuge der Proteste Ende Juni. Auch wenn aktuelle Umfragen nahelegen, dass die amtierende PT weiterhin Favorit bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2014 ist, könnte sich dies ändern, wenn sich die Regierungskoalition nicht ernsthaft mit der öffentlichen Kritik auseinandersetzt.

Ein weiterer Grund für die Proteste ist die Wachstumsschwäche, die Frustration bei der Bevölkerung hervorruft. Denn die brasilianische Erfolgsgeschichte ging 2011 zu Ende. Sie beruhte sowohl auf positiven externen Faktoren (hohe Rohstoffpreise, guter Zugang zu ausländischer Finanzierung) als auch inländischen Faktoren (der private Konsum wurde durch Kredite und Umverteilungsmaßnahmen angekurbelt). Die brasilianische Führung reagierte auf den weniger stark wachsenden Inlandsverbrauch mit einer akkommodierenden Geldpolitik und (quasi)fiskalischen Maßnahmen: Die Steuern auf Importe wurden erhöht, die Zentralbank reduzierte den Leitzinssatz SELIC drastisch, und für arbeitsintensive Bereiche wurden Steuererleichterungen eingeräumt.

Doch der erwünschte Aufschwung blieb aus. Das BIP-Wachstum schwächte sich weiter von 2,7% im Jahr 2011 auf 0,9% im Jahr 2012 ab. Für 2013 werden 2,5% erwartet. Die weiteren Aussichten sind angesichts der Konjunkturabschwächung in China und einer immer noch gedämpften Nachfrage in den USA und in der Euro-Zone nicht rosig. Hinzu kommt, dass das konsumorientierte Wachstumsmodell Brasiliens an seine Grenzen stößt.

Obwohl die Haushalte immer noch von der hohen Beschäftigung profitieren, halten sie sich aufgrund geringerer Lohn­erhöhungen, einer bedeutenden Verschuldung und steigender Inflationstendenzen mit ihrem Konsum zunehmend zurück. Im Mai 2013 erreichte die Inflation die Obergrenze des Zielkorridors der Zentralbank von 2,5% bis 6,5%, eine direkte Folge der Rekordverteuerung von Lebensmitteln. Trotz reduzierter Energiepreise, Steuersenkungen für Lebensmittel und aufgeschobener Busfahrpreiserhöhungen dürfte die Inflation hoch bleiben, wozu auch die Abwertung des Brasilanischen Real (kurz: Real) beiträgt. Wiederholte Mindestlohnerhöhungen und Engpässe am Arbeitsmarkt treiben die realen Löhne und die Inflationserwartungen nach oben.

Nachdem die Behörden zunächst die akkommodierende Geldpolitik fortführten, ohne dem Überhitzungsrisiko Aufmerksamkeit zu schenken, hob die Zen­tralbank im April den Leitzins spürbar von 7,25% auf 8,5% an. Somit dürfte die Kon­trolle der Inflation wieder höhere Priorität erlangt haben, wenn auch dadurch die Erholung der Investitionen beeinträchtigt werden könnte.

Das infrastrukturschwache Brasilien kann seine Wachstumsschwäche nur mit zusätzlichen Investitionen und Produktivitätssteigerungen überwinden. Denn der Spielraum für eine weitere Stimulierung der privaten Nachfrage über Umverteilungsmaßnahmen ist beschränkt. Doch die Investitionen – und vor allem die private Beteiligung daran – sind weiterhin niedrig. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens herrscht politische Unsicherheit darüber, ob Brasilien noch an seiner „Heiligen Dreifaltigkeit“ der Wirtschaftspolitik – einem flexiblen Wechselkurs, einer Inflationssteuerung und soliden Staatsfinanzen – festhält. Zweitens sind die Maßnahmen der Regierung zum Ankurbeln der Wirtschaft fehlgeschlagen. Drittens hat die ineffiziente Durchführung von Infrastrukturprojekten durch Lizenznehmer das Vertrauen verletzt und private Investitionen verzögert. Das Entscheidende ist aber, dass sich Brasiliens Wettbewerbsfähigkeit insgesamt verschlechtert hat.

Nun liegt es an der Regierung, die potentiellen privaten Investoren aus ihrer abwartenden Haltung zu locken. Sie steht vor der Herausforderung, Strukturreformen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit umzusetzen und gleichzeitig an der Haushaltsdisziplin festzuhalten. Damit das Leistungsbilanzdefizit und die Inflation im Rahmen bleiben, muss das Wachstum der Investitionen mit einer Mobilisierung der inländischen Ersparnisse einhergehen. Doch für 2013 wird mit einem bescheidenen Wachstum der Bruttoanlageinvestitionen um 7% gerechnet. Zudem ist es zweifelhaft, ob sich Dilma Rousseff vor der Präsidentschaftswahl 2014 an weiteren Strukturreformen versuchen wird.

Seit Mitte 2011 betreibt die Regierung eine expansive Fiskalpolitik zur Ankurbelung der Konjunktur. Sie stimuliert die Wirtschaft vor allem mit Hilfe von Steueranreizen und Krediten an die staatlichen Banken, zu einem geringeren Teil auch durch Investitionen. Durch die akkommodierende Finanzpolitik wurden die Haushaltsziele verfehlt, mit negativen Folgen für den Schuldenstand und die Zinsbelastung.

Im Vorfeld der Wahlen und angesichts der Forderungen nach einer besseren öffentlichen Versorgung sind Einsparungen unwahrscheinlich. Doch das Vertagen der Konsolidierung könnte das Budget destabilisieren und weitere Preissteigerungen nach sich ziehen. Als Alternative zum Sparen bieten sich die Effizienzsteigerung im Staatsapparat und die Korruptionsbekämpfung an, Maßnahmen, die auch im Sinn der protestierenden Bürger wären.

Der Bankensektor spielt eine wichtige Rolle bei der Finanzierung des brasilianischen Wachstums, insbesondere des privaten Verbrauchs. Die brasilianischen Unternehmen finanzieren sich stark mit Hilfe der öffentlichen Banken. Der gesamte Wert der ausstehenden Kredite, die von Finanzinstitutionen vergeben wurden, stieg im Zeitraum April 2005 bis April 2013 von 26,3% auf 54,1%, was im internationalen Vergleich immer noch ein relativ geringes Niveau darstellt. Etwa die Hälfte davon entfiel auf Kredite öffentlicher Banken, der Rest teilte sich zwischen in- und ausländischen Geschäftsbanken auf. In jüngster Zeit hat sich das Kreditwachstum der öffentlichen Banken auf eine Jahresrate von 25% und das der privaten Banken auf 10% abgeschwächt. Die öffentlichen Banken spielen nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Energie- und Infrastrukturprojekten.

Die hohe Verschuldung der Haushalte macht den Bankensektor etwas krisenanfälliger, da die Verbraucherkredite eine bedeutende Rolle im Portfolio der Banken spielen. Doch insgesamt dürften die Banken gut kapitalisiert und zahlungsfähig sein. Der Anteil notleidender Kredite ist geringer als im Vorjahr, als wenige kleine und mittelgroße Banken in Liquiditätskrisen gerieten und Bankrott anmelden mussten. Zudem zeigen die Stresstests der Zentralbank, dass das Bankensystem auch größeren Schocks gewachsen ist.

Der Rohstoffboom erlaubte in Verbindung mit den Kapitalzuflüssen einen signifikanten Aufbau von Währungsreserven. Die Importdeckungsquote stieg im Zeitraum 2000 bis 2012 von 4,1 auf 12,7 Monatsimporte. Die Auslandsschulden sanken im gleichen Zeitraum bedeutend vom 3,4fachen auf das 1,8fache der Leistungsbilanzerlöse. Trotz günstiger Terms of Trade ist die Leistungsbilanz seit 2008 defizitär, eine Folge der starken Nachfrage nach importierten Konsumgütern. Zudem leiden Brasiliens Industriegüterexporte unter geringer Wettbewerbsfähigkeit, und die Rohstoffexporte bekommen das Ende der Preishausse zu spüren. Angesichts steigender Importe von Investitionsgütern dürfte das Leistungsbilanzdefizit (2012: 2,4% des BIP) mittelfristig weiter auf etwa 3,7% des BIP steigen. Erst wenn die Ölexporte aus den „Pre-Salt“-Ölfeldern beginnen, dürfte sich der Trend in der Leistungsbilanz umkehren.

Ausländische Direktinvestitionen (FDI) und Portfolioinvestitionen haben in den vergangenen Jahren die Leistungsbilanzdefizite immer mehr als ausgeglichen und einen Aufwertungsdruck auf den Real erzeugt. Um den Kapitalzufluss einzudämmen, führte die Zentralbank Kapitalverkehrskontrollen ein. Doch seit 2012 schwächeln die Portfolioinvestitionen in Brasilien. Im April 2013 hatte der Real im Jahresvergleich um 9% abgewertet. Mit der Beschleunigung der Abwertung im Mai begann die Zentralbank, den Real zu stützen, und viele der Kapitalverkehrsmaßnahmen wurden rückgängig gemacht.

Die brasilianische Zentralbank wird darauf achten, eine exzessive Volatilität des Wechselkurses zu verhindern. Sie dürfte einen Mittelkurs anpeilen, der weder die Wettbewerbsfähigkeit zu stark belastet noch die Inflation verstärkt. Aufgrund der hohen Währungsreserven verfügt sie dafür über ausreichend Handlungsspielraum. Dennoch sind weitere Kapitalverkehrsmaßnahmen nicht ausgeschlossen. In jedem Fall ist eine Rückkehr zu einem rein flexiblen Wechselkurs­regime im Moment nicht zu erwarten.

Aufgrund der soliden Liquidität des Landes bleibt das kurzfristige politische Risiko für Brasilien gering (Länderkategorie 2). Das Geschäftsrisiko stuft Delcredere aber weiterhin in die höchste Kategorie (Stufe C) ein.

Die ausführliche Länderstudie Brasilien steht unter www.ducroiredelcredere.de zum kostenlosen Download bereit.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

17 replies on “Brasilien kämpft mit geringem Wachstum”

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