Während die Länder Südeuropas wirtschaftlich und zumeist auch politisch in der Krise stecken, scheinen die mitteleuropäischen Mitgliedsstaaten der EU relativ gut gegen Vertrauensverluste gewappnet zu sein. Dies liegt zum Teil an der geringeren Staatsverschuldung, die erst seit 1990 aufgebaut wurde. Nicht ganz unbeschadet sieht Coface allerdings Polen und die Tschechische Republik, die zu Jahresbeginn unter Beobachtung für eine Abwertung von der derzeitigen Bewertungsstufe A3 gesetzt wurden.
Von Dr. Dirk Bröckelmann, Referent Unternehmenskommunikation, Coface Deutschland, Niederlassung der Coface S.A.
Nachdem Polen 2011 das stärkste Wachstum in der EU verzeichnete, ist die Konjunktur 2012 deutlich eingebrochen. Einer der Hauptgründe dafür waren die rückläufigen Investitionen. Erheblich belastet wurde die Wirtschaft durch die drastische Talfahrt in Europa zusammen mit den Maßnahmen der Regierung zum Abbau des Haushaltsdefizits. Die Regierung wird das Wachstum 2013 durch Investitionen und eine gezielte Konjunkturpolitik stützen. Ende 2012 wurde ein Förderprogramm mit 52 Mrd EUR (8% des BIP) über drei Jahre verabschiedet. Investitionen werden durch geplante Ausgaben in Höhe von 10 Mrd EUR für die Straßen- und Schieneninfrastruktur und eine Kapitalspritze von 10 Mrd EUR (1,6% des BIP) von Seiten der Nationalbank zur Ankurbelung der Projektnachfrage neue Impulse erfahren.
Durch die auf den Weg gebrachten Sparmaßnahmen ist das Defizit in der Leistungsbilanz 2012 zurückgegangen. Im Jahr 2013 dürfte die Konjunktur in Europa weiterhin schwach bleiben. Infolgedessen dürften die polnischen Ausfuhren, die mit einem Anteil von 30% an den Gesamtausfuhren sehr stark auf Deutschland ausgerichtet sind, stagnieren. Die Auswirkungen des Außenhandels auf das BIP sind allerdings begrenzt, weil die Wirtschaft Polens im Vergleich zu anderen mitteleuropäischen Ländern keinen besonders hohen Öffnungsgrad verzeichnet. Die Inflation dürfte 2013 ähnlich wie im zweiten Halbjahr 2012 als Folge sinkender Ölpreise zurückgehen.
Angesichts der Konjunkturschwäche ändern die polnischen Behörden den Kurs in der Geldpolitik. Zum ersten Mal seit 2009 lockerten sie im November 2012 den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte und seither weitere vier Mal. Um den Złoty gegenüber dem Euro zu schwächen und den privaten Konsum (60% des BIP) zu stützen, senkte die Zentralbank ihren Leitzins Anfang März 2013 sogar um 0,50 Prozentpunkte. Die Regierung hat sich eine Zunahme des Konsumanteils am BIP um 5 Prozentpunkte zum Ziel gesetzt. Die Baubranche litt 2012 unter den rückläufigen Investitionen und der trüben Stimmung bei privaten Haushalten. Diese Branche wurde durch die Vielzahl von Unternehmen geschwächt und wird 2013 öffentliche Investitionshilfen erhalten.
Das polnische Haushaltsdefizit dürfte 2013 etwas höher als 2012 ausfallen, da die Wirtschaft durch öffentliche Ausgaben angekurbelt wird. Der Anstieg dieser Ausgaben wird auf 1,9% des BIP geschätzt. Wettgemacht wird er durch steigende Einnahmen in Verbindung mit der Wiederbelebung des Konsums. Im Übrigen hat Premierminister Donald Tusk zahlreiche Privatisierungen in Schlüsselbereichen der Wirtschaft angekündigt, z.B. bei Banken (PKO Bank) und Energieunternehmen (ZE Pak, Lotos). Die Staatsverschuldung dürfte sich infolgedessen bei etwa 55% des BIP stabilisieren. Allerdings besteht ein erheblicher Teil der Verbindlichkeiten gegenüber ausländischen Gläubigern. Wenn sich die Risikoscheu bei den Anlegern erhöht, stellt das ein Risiko für die Staatsschulden dar.
Auch die ausländischen Direktinvestitionen, die einen Teil des Leistungsbilanzdefizits finanzieren, leiden unter der Flaute in Europa. Das polnische Bankensystem scheint mit Eigenkapitalquoten, die über den Mindestvorschriften von Basel III liegen, relativ solide. Allerdings stellen die Töchter von ausländischen Banken (BNP, UniCredit, Citi, Deutsche Bank), deren Muttergesellschaften überwiegend in der Euro-Zone angesiedelt sind, zwei Drittel des Bankensektors dar. Das schwächt die Finanzierung der Wirtschaft. Der Schuldenabbau europäischer Banken in Polen war 2012 allerdings kaum zu spüren. Doch für die Banken besteht nach wie vor ein erhebliches Devisenrisiko, da in Fremdwährungen ausgewiesene Kredite der privaten Haushalte 14% des BIP darstellen.
Genau wie 2012 wird die tschechische Wirtschaft 2013 unter der Wachstumsschwäche in der Euro-Zone sowie den eingeleiteten Sparmaßnahmen leiden. Denn Unsicherheiten über die Konjunkturaussichten sowie die erneute Anhebung der Mehrwertsteuer um 1% belasten den Konsum der privaten Haushalte (50,7% des BIP). Die Parlamentswahlen 2014 werden allerdings eine leichte Lockerung der Ende 2013 in die Wege geleiteten Sparpolitik herbeiführen. Das wird im vierten Quartal den Konsum wieder beleben. Am Arbeitsmarkt wird sich die Lage weiter verschlechtern. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen liegt bei 37% gegenüber 23% Ende 2009.
Die tschechische Zentralbank hat ihren Leitzins 2012 dreimal gesenkt. Effekte auf den Konsum hatte das aber nicht. Der Leitzins liegt inzwischen auf dem Tiefstand von 0,05%. Diese lockere Geldpolitik kommt kurzfristig jedoch den tschechischen Ausfuhren zugute. Denn durch die schwächere Tschechische Krone erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit tschechischer Produkte. Die Wirtschaft des Landes ist sehr offen. Der gesamte Handel mit dem Ausland stellte 2012 145% des BIP dar. Infolge der ausgeprägten Integration der Wirtschaft in die europäischen Fertigungsprozesse kann das Land aber nicht auf Dauer von seiner schwächeren Währung profitieren. Zudem macht dem Land die Abhängigkeit von der europäischen Automobilindustrie zu schaffen: 84% der Ausfuhren gehen in die EU, und 17,5% entfallen auf die Automobilindustrie.
Die Inflation wird 2013 zwar wieder unter 3% sinken, damit aber höher als 2010 und 2011 ausfallen. Zurückzuführen ist das auf die Anhebung der Mehrwertsteuer und die Verteuerung von Importwaren. Im Übrigen könnte das tschechische Bankensystem, das überwiegend in den Händen von Banken aus der Euro-Zone liegt, Anlass zur Sorge geben. Anders als in den meisten osteuropäischen Ländern finanzieren sich die Töchter durch inländische Einlagen. Zudem gelten für sie konservative aufsichtsrechtliche Vorschriften.
Nach heftigen Diskussionen innerhalb der Koalition hat die Regierung eine Reihe von Haushaltsreformen verabschiedet (Gesundheits- und Steuersystem), um das Defizit zu verringern und den Anstieg der Staatsverschuldung einzudämmen. Die wichtigsten Reformen betreffen die Verminderung von Steuervorteilen beim Bausparen und die Verschärfung der Bedingungen beim Arbeitslosengeld. Darüber hinaus wird 2013 eine Ende 2011 trotz zahlreicher Kritiken verabschiedete Reform des Rentensystems umgesetzt. Hierdurch wird das bisherige umlagefinanzierte System schrittweise durch ein kapitalgedecktes System ersetzt.
Die öffentliche Verschuldung, die gegenüber 2007 um mehr als 10 Prozentpunkte in Relation zum BIP gestiegen ist, bleibt weiterhin vertretbar und tritt in eine Phase der Stabilisierung ein. Die derzeitige Mehrheit will allerdings vier kritische Verschuldungsgrenzen für Haushaltsanpassungen in der Verfassung festschreiben. Wenn die Staatsverschuldung 40% des BIP überschreitet, werden vorsorgliche Anpassungsmaßnahmen ergriffen, ab 45% werden die öffentlichen Ausgaben eingefroren, ab 48% wird der Haushalt sofort überprüft, um den Anstieg einzudämmen, und wenn die Schulden 50% des BIP erreichen, muss die Regierung die Vertrauensfrage stellen.
Das Vertrauen der Investoren hat für das Land eine wesentliche Bedeutung, da das Defizit in der Leistungsbilanz durch ausländische Direktinvestitionen abgedeckt wird. Diese sind infolge der schlechten Rahmenbedingungen in Europa ohnehin schon rückläufig. Das tschechische Leistungsbilanzdefizit ist seit dem zweiten Halbjahr 2011 zurückgegangen. Ursächlich dafür war insbesondere die schwächere Nachfrage als Folge der Sparmaßnahmen. Wenn diese Sparmaßnahmen Ende 2013 gelockert werden, wird sich das Defizit wieder leicht erhöhen.
Kontakt: dirk.broeckelmann[at]coface.de
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