Es heißt, die Baubranche sei ein präziser Gradmesser für die Wirtschaftslage eines Landes – diese Aussage scheinen die jüngsten Analysen von Atradius für Ungarn zu bestätigen. Die ungarische Wirtschaft steckt seit dem zweiten Halbjahr 2011 in der Rezession und wird auch 2013 durch die hohen öffentlichen und privaten Schulden beeinträchtigt. Die Krise in der Bauwirtschaft wird nach Erkenntnissen des Atradius MarktMonitors noch anhalten.
Von Dr. Thomas Langen, Senior Regional Director Deutschland, Mittel- und Osteuropa, Atradius Kreditversicherung
Obwohl es im dritten Quartal 2012 so aussah, als ob die ungarische Bauwirtschaft nach sechsjähriger Krise die Talsohle endlich durchschritten hätte, ist sie 2012 nochmals um 7% geschrumpft. Nachdem die Auftragseingänge Anfang letzten Jahres gestiegen waren, gingen sie gegen Jahresende wieder zurück. Dem Umfang der Auftragseinbrüche nach zu urteilen, handelt es sich um einen langfristigen Trend.
Am schwersten betroffen ist der Wohnungsbau. In diesem Teilsektor gingen die Aufträge 2012 um 24% im Jahresvergleich zurück. Auch der Baustoffhandel befindet sich angesichts des beträchtlichen Preisverfalls in argen Schwierigkeiten. Im Bereich der industriellen und gewerblichen Bauprojekte stagniert die Entwicklung.
Die Auftragsbücher werden im Wesentlichen von öffentlichen Aufträgen gefüllt. Während Straßenbauprojekte verschoben wurden, hat sich der Schwerpunkt inzwischen auf die Modernisierung des Schienennetzes, umfangreiche Kanalisationsarbeiten und Umweltprojekte verlagert. Bei der Planung von Bauprojekten wird in erster Linie auf eine bestmögliche Ausnutzung von EU-Fördermitteln geachtet. Doch bei derartigen staatlichen Projekten gelten extrem lange Zahlungsfristen, die sich wie ein Dominoeffekt auf die gesamte Lieferkette auswirken und der Branche damit zusätzliche Probleme bereiten.
Für die kommenden Jahre wird mit einer allmählichen Stabilisierung der Marktlage auf niedrigem Niveau gerechnet. Der Start neuer Projekte wird durch die schwache Nachfrage, die mangelnde Verfügbarkeit von Bankkrediten, das fehlende Vertrauen der Investoren und häufige Zahlungsausfälle behindert.
Gegen Ende des Jahres 2011 lag die Eigenkapitalquote der ungarischen Bauunternehmen im Durchschnitt bei 17,8% und damit unter dem Industriedurchschnitt von 31,5%. Insofern überrascht es nicht, dass es in der Branche sehr häufig zu Zahlungsverzögerungen kommt, die 2013 nochmals zunehmen werden. Im November 2012 gab es in der Bauwirtschaft eine Rekordzahl von 707 Insolvenzfällen.
Ein Grund dafür ist darin zu sehen, dass die Gerichte seit März letzten Jahres Zwangsschließungen anordnen können, um in Insolvenzfällen das zeitraubende Liquidationsverfahren zu umgehen. In den letzten Monaten war die Zahl der Insolvenzen in der Branche mehr als doppelt so hoch wie die Zahl der Unternehmensgründungen. Für 2013 rechnen wir jedoch mit einer Stabilisierung der Zahlen.
Baugewerbe und Baustoffbranche sind in Ungarn den höchsten Risiken ausgesetzt. Aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Bankkrediten entwickeln sich diese Sektoren, wie schon gesagt, seit mehr als fünf Jahren rückläufig. Große Infrastrukturprojekte liegen auf Eis, Haus- und Wohnungsbau bewegen sich auf einem ex-trem niedrigen Niveau, und nur der Bau von Industrieanlagen entwickelt sich gegen den Trend. Es befinden sich zu viele Anbieter am Markt. In keinem anderen ungarischen Wirtschaftszweig sind mehr Unternehmensschließungen zu verzeichnen.
Vor der Absicherung von Geschäften mit Abnehmern aus der Branche lässt sich Atradius die aktuellsten Geschäftszahlen vorlegen, frühestens die aus dem Jahr 2011 und vorzugsweise die vorläufigen Ergebnisse aus dem Jahr 2012. Zudem ist es wichtig, dass wir Einsicht in die Auftragslisten von größeren Abnehmern und Informationen zu Aufträgen, Abnehmern und Bankkrediten erhalten. Bei größeren Beträgen überprüft Atradius auch häufiger das Zahlungsverhalten. Die langen Zahlungsfristen, die sich die staatlichen Stellen herausnehmen, ziehen sich nicht selten durch die gesamte Lieferkette.
Eine ausführliche Darstellung der Baubranche in verschiedenen Märkten enthält der aktuelle Atradius MarktMonitor Februar 2013 (www.atradius.de) unter dem Titel „Immer noch auf unsicherem Boden“. Im Fokus stehen die Länder Brasilien, Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Mexiko, Türkei, Ungarn und die USA.
Kontakt: thomas.langen[at]atradius.com
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