Die geographische Lage, ein sehr aufnahmefähiger, prosperierender Binnenmarkt sowie umfangreiche Investitionspläne machen die Türkei zu einem sehr interessanten Markt, der zudem leicht zugänglich ist. Unternehmen aus Deutschland haben ein gutes Entree: Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei, die Deutschen sind als ausländische Investoren führend. Die Türkei weist zudem seit Jahren sehr hohe Wachstumsraten bei einem stabilen wirtschaftlichen und politischen Umfeld aus.
Von Hakan Aksünger, Senior Regional Manager Türkei, Financial Institutions BHF-BANK
Die bemerkenswert gute Entwicklung des Landes fand Anfang November 2012 in einem Rating-Upgrade durch die Ratingagentur Fitch ihre Anerkennung. Türkische Staatsanleihen haben – zumindest bei Fitch – erstmals seit 1984 wieder einen Investmentgrade. Fitch nannte für seine positive Einschätzung vielfältige Gründe: die relativ niedrige und zudem weiter sinkende Staatsschuldenquote der Türkei, das gut kapitalisierte Bankensystem und die weiterhin guten Wachstumsaussichten. Der Türkei sei der Übergang von einer drohenden konjunkturellen Überhitzung zu einem nachhaltigen Wachstum gelungen. Auch die erfolgreiche Senkung des Leistungsbilanzdefizits und der Inflation sowie die niedrigste Arbeitslosenrate seit über einem Jahrzehnt trugen zur günstigen Beurteilung bei.
Laut IWF zählt die junge Nation am Bosporus mit einem Bruttoinlandsprodukt von 772 Mrd USD (2011) zu den 20 größten Wirtschaftsnationen der Welt und ist hinsichtlich der Wirtschaftsleistung in etwa gleichauf mit den Niederlanden und der Schweiz. Das Bruttoinlandsprodukt ist in den zehn Jahren seit 2002 mit Ausnahme des Rezessionsjahres 2009 kräftig gewachsen, zuletzt im Jahr 2011 um 8,5%. Für 2012 und 2013 wird – unter anderem infolge der wirtschaftlichen Probleme in Südeuropa – mit einer Abschwächung des Wachstums auf immer noch beachtliche 4% gerechnet.
Die Neuverschuldung des Staates betrug 2011 relativ maßvolle 1,5% des Bruttoinlandsprodukts und wird 2012 wohl bei 2% des BIP liegen. Die Staatsverschuldung entsprach im vergangenen Jahr 39% des BIP. Der türkische Ministerpräsident Erdogan kann somit darauf verweisen, dass die Türkei die Maastricht-Kriterien im Gegensatz zu vielen etablierten EU-Staaten bereits einhält. Viele weitere Indikatoren signalisieren, dass die Türkei wirtschaftlich auf Erfolgskurs ist. Die einst galoppierende Inflation konnte in der letzten Dekade auf durchschnittlich 10% und zuletzt sogar auf etwa 7% gesenkt werden, das Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung steigt seit Jahren kräftig, das Land verfügt zudem über hohe Währungsreserven und ein stark anwachsendes Außenhandelsvolumen. Die Schwäche vieler ihrer Außenhandelspartner in der EU konnte die Türkei in den letzten beiden Jahren durch die Expansion in den arabischen Raum erfolgreich kompensieren.
Diese Dynamik wird nicht zuletzt auch von der Demographie getragen. Zwischen Ägäis, Schwarzem Meer und Mittelmeer leben auf mehr als der doppelten Fläche Deutschlands derzeit rund 75 Millionen Menschen. Aufgrund der hohen Geburtenrate wird die Türkei in wenigen Jahren mehr Einwohner zählen als Deutschland. Auch in Bezug auf die Altersstruktur hebt sich die Türkei von den alternden Gesellschaften Westeuropas ab. Das Durchschnittsalter der Türken liegt bei 29 Jahren, während der Altersdurchschnitt in Deutschland aktuell 45 ist.
Die türkische Bevölkerung ist jung, leistungsbereit, immer besser ausgebildet und konsumfreudig. Das Land verfügt somit demographisch über beste Voraussetzungen für weiteres Wachstum. Schon heute ist das Pro-Kopf-Einkommen mit etwas über 10.000 US$ höher als das in den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien. Die regionalen Unterschiede sind allerdings erheblich. Noch ist ein Viertel der Beschäftigten des Landes in der Landwirtschaft tätig. In der EU ist dieser Anteil weitaus geringer.
In der Wirtschaftsstruktur gewinnen die Dienstleistungen an Bedeutung. Das Finanzwesen hat einen großen Stellenwert, Handel und Verkehr profitieren von der Brückenlage der Türkei zwischen den Kontinenten. Strände und Kultur locken Touristen. Im produzierenden Gewerbe sind die Textil- und Bekleidungsindustrie, die Automobil(zuliefer)industrie und die Elektroindustrie führend.
Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei. 2011 bezog die Türkei Waren im Wert von fast 18 Mrd EUR aus Deutschland. Vor allem Fahrzeuge und Maschinen aus Deutschland fanden in der Türkei Käufer. Umgekehrt ist Deutschland mit einem Anteil von 10,2% an den Gesamtausfuhren der bedeutendste Exportmarkt für die Türkei. Für rund 11 Mrd EUR wurden türkische Erzeugnisse nach Deutschland ausgeführt.
Auch unter den ausländischen Investoren in der Türkei sind die Deutschen führend. Rund 5.000 deutsche Unternehmen haben bereits in der Türkei investiert, unter ihnen viele DAX-Unternehmen und große mittelständische Firmen wie Berentzen, Deichmann, Tchibo und Vaillant. Umgekehrt engagieren sich türkische Unternehmen grundsätzlich auch gern in Deutschland. Die Investitionssumme ist allerdings noch relativ gering. Ein sehr aktiver Investor ist die Eczacibasi-Gruppe, die unter anderen den Fliesenhersteller Engern in Neuwied, die Keramiksparte von Villeroy & Boch und den Badmöbelhersteller Burgbad in Bad Fredeburg übernommen hat, der seitdem mit der neuen Muttergesellschaft als Rückhalt die internationale Expansion forciert und kräftig investiert.
In der nahen Zukunft wird vor allem der türkische Energiesektor deutschen Unternehmen große Chancen bieten. Die Türkei muss derzeit mehr als 70% der für die Energieversorgung notwendigen Rohstoffe importieren und belastet ihre Leistungsbilanz damit erheblich. Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum treiben den Energieverbrauch weiter in die Höhe. Für die nächsten zehn Jahre wird mit der Verdoppelung der Energienachfrage gerechnet. Die türkische Regierung hat deshalb eine Investitionsoffensive ausgerufen, mit der sie neue Kapazität schaffen und die Versorgungsnetze verbessern will. Bis 2025 müssen schätzungsweise etwa 100 Mrd EUR investiert werden. Dabei will die Türkei jede Art von Energiequellen nutzen. Atomkraftwerke und umweltverträglichere Kohlekraftwerke sollen ebenso gebaut werden wie Solar-, Wasser- und Windkraftwerke. Deutsche Unternehmen haben gute Aussichten, am Ausbau der erneuerbaren Energien, der Verbesserung der Energieeffizienz und am Aufbau einer Energiebörse beteiligt zu sein.
Das Rating-Upgrade im November 2012 hat für die türkische Wirtschaft große symbolische und faktische Bedeutung. Für den Staat, die Banken und die Unternehmen in der Türkei werden die Finanzierungskosten sinken, weil das Land für ausländische Investoren noch attraktiver wird. Ausländer werden verstärkt direkt in Unternehmen und mittelbar in Anlageportfolios investieren. Gerade für institutionelle Investoren sind Ratings ein wichtiges formales Entscheidungskriterium. Dank der sinkenden Zinsen für Staatsanleihen kann der türkische Staat zukünftig zusätzliche Mittel in Investitionen lenken.
Die kurzfristigen Refinanzierungskosten der türkischen Banken haben sich nach der Zuspitzung der globalen Finanzkrise Ende 2008/Anfang 2009 mittlerweile wieder halbiert. Wegen der geringen Risikoprämien sind kurzfristige Akkreditive derzeit günstig. Mit ihnen können Warenexporte über einen Zeitraum von zwei Jahren finanziert werden. Für längerfristige Finanzierungen, zum Beispiel bei Investitions- und Kapitalgütern, bieten sich eher die Hermes-gedeckten Finanzierungen an. Dabei kommen sowohl Hermesfinanzierungen mit türkischen Bank-garantien als auch zunehmend direkte Finanzierung für erstklassige türkische Unternehmen in Frage.
Die Türkei wird gerade in der nächsten Zeit vor allem Investitionsgüterherstellern aus Deutschland viele Möglichkeiten eröffnen. Für ein Engagement sprechen auch der gute Marktzugang, die wirtschaftliche Solidität und die Rechtssicherheit des Landes. Zudem ist die Türkei für weiter reichende wirtschaftliche Aktivitäten von strategischer Bedeutung, denn sie bietet die ideale Plattform für eine Expansion in den Mittleren Osten und nach Zentralasien.
Kontakt: hakan.aksuenger[at]bhf-bank.com
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