Am 6. Oktober 2022 hat die EU als Antwort auf den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine weitere Sanktionen gegen Russland beschlossen. Es ist ihr achtes Sanktionspaket. In Fortsetzung unserer vier Beiträge (Ausgabe 2/2022, S. 23 ff., Ausgabe 3/2022, S. 25 ff., Ausgabe 4/2022, S. 17 ff., Ausgabe 6/2022, S. 20 ff.) werden die Auswirkungen dieses EU-Embargos für Exporteure in der EU aufgezeigt.
Beitrag in der Gesamtausgabe (PDF)
Ausgangsfall 1: D in Deutschland möchte Steinkohle mit der Zolltarifnummer (ZTN) 2701 00 an den Kunden R in Russland liefern; außerdem möchte D Ingenieur-Dienstleistungen für R bzgl. früher gelieferter Güter erbringen. R ist nicht gelistet. Was muss D hierbei nach der neuerlichen Runde der Russland-Embargos beachten?
Ausgangsfall 2: D in Deutschland möchte R mit nicht gelisteten Gütern beliefern. R selbst ist nicht gelistet, aber die Anteilseigner sind wie folgt: Alisher Usmanov (AU) hält 49%, die natürlichen Personen X und Y halten je 10% und 30% der Anteile; die restlichen 11% halten zwei Steuervermeidungsgesellschaften auf den britischen Jungferninseln. Darf D an R liefern?
Russland-Paket Nr. 8 vom 06.10.2022
Bezüglich der Ukraine-VO 269/2014 gibt es durch die VO 2022/1905 eine geringfügige Änderung (zwei neue Ausnahmen zum Bereitstellungsverbot). Mit der DVO 2022/1906 werden die Listungen um 30 Personen und 7 Organisationen ergänzt, sodass jetzt insgesamt 1.262 (!) Personen und 118 Organisationen gelistet sind. Bei den 30 Personen geht es v.a. um Personen, die Verantwortung in den besetzten Gebieten bzw. für die Durchführung des völkerrechtswidrigen Referendums übernommen haben, um hochrangige Militärangehörige (u.a. einige stellvertretende Verteidigungsminister) und Personen, die für Putins Kriegspropaganda verantwortlich sind. Bei den Organisationen geht es um fünf Rüstungshersteller (OJSC V.A. Degtyarev Plant, MBB Fakel, JSC Irkut Corporation, MMZ Avangard, JSC A.N. Ganichev Scientific und Production Association SPLAV), einen Hersteller von Banknoten etc. (JSC Goznak) und die Zentrale Wahlkommission.
Bzgl. der Donezk-Luhansk-VO 2022/253 gibt es durch die VO 2022/1903 kleine Änderungen; vor allem werden die „spezifizierten Gebiete“ und damit der Anwendungsbereich um die zwei weiteren Gebiete Cherson und Saporischschja erweitert.
Bzgl. der Russland-VO 833/2014 gibt es wichtige Änderungen durch die VO 2022/1904: Neu ist v.a. der Mechanismus zur Preisobergrenze bei Energieprodukten (vgl. Anhänge XXVIII und XXIX), der aber noch – mangels detaillierter aus-formulierter Regelungen – unklar bleibt. Zur Preisobergrenze vgl. auch Nr. 9 bis 14 der Präambel; hiernach soll u.a. Folgendes gelten: Hat ein Schiff unter der Flagge eines Drittstaates russisches Öl/russische Ölerzeugnisse befördert, das/die zu einem Preis oberhalb der Preisobergrenze erworben wurde/n, so soll es verboten sein, bestimmte Dienstleistungen im Zusammenhang mit künftigen Beförderungen von Öl/Ölerzeugnissen durch dieses Schiff bereitzustellen.
Neu ist das Verbot der Lieferung von Feuerwaffen nach Russland. Verschärft werden Art. 3ea (kein Zugang zu EU-Häfen für russische Schiffe) und Art. 3n (Verbot von Dienstleistungen bei der Beförderung von Öl), wobei hier auch Ausnahmen eingeführt werden. Verschärft wird auch Art. 5aa (keinerlei Transaktionen mit staatseigenen Unternehmen Russlands) um die Regelung, dass es ab dem 22. Oktober 2022 verboten ist, einen Posten in den Leitungsgremien einer der in Anhang XIX gelisteten staatseigenen Unternehmen zu bekleiden.
Und verschärft wird v.a. Art. 5n (Verbot, bestimmte Dienstleistungen für Russland zu erbringen). Während es bisher nur um die Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Buchführung, Steuerberatung und PR-Beratung ging, werden jetzt weitere Dienstleistungen einbezogen: Dienstleistungen für Russland in den Bereichen Architektur, Ingenieurwesen, Rechtsberatung und IT-Beratung sind ab sofort verboten (Ausnahme: Erfüllung bis 8. Januar 2023 bzgl. Verträgen, die vor dem 7. Oktober 2022 geschlossen wurden). Hierbei sind aber einige Differenzierungen nach Nr. 19 der Präambel zu beachten; so sollen etwa Rechtsvertretungsdienstleistungen – anders als reine Rechtsberatung – weiterhin zulässig bleiben.
Die Russland-Anhänge werden durch das achte Sanktionspaket wie folgt geändert:
• Anhang VII (Ausfuhrverbot: strategische Güter): Einfügung neuer Positionen in Kap. 8 (verschiedene Gegenstände) und 9 (besondere Werkstoffe) sowie Einfügung eines neuen Teils B (Halbleiterbauelemente, elektronische integrierte Schaltungen, Fotoapparate) – vermutlich soll gesagt werden, dass für Teil B eine neue Altvertragsregelung gelten soll. Diese Regelung fehlt aber bisher.
• Neufassung Anhang XI (Ausfuhrverbot: Luft- und Raumfahrt): v.a. neuer Teil B, für den eine neue Altvertragsregelung gilt (Erfüllung bis 6. November 2022 für Verträge vor dem 7. Oktober 2022)
• Neufassung Anhang XVII (Einfuhrverbot: Eisen- und Stahlerzeugnisse): v.a. neuer Teil B (neue Altvertragsregelung: Erfüllung bis 8. Januar 2023 für Verträge vor dem 7. Oktober 2022). Außerdem wird Art. 3g verschärft und es werden neue Ausnahmen eingeführt (u.a. bestimmte Einfuhrkontingente). Besonders hervorzuheben ist, dass die EU hier erstmals Sanktionen mit einer gewissen extraterritorialen Wirkung erlässt, denn ein mittelbares Einfuhr- oder Kaufverbot wird u.a. bereits dann ausgelöst, wenn Eisen- und Stahlerzeugnisse „in einem Drittland unter Verwendung der in Anhang XVII gelisteten Eisen- und Stahlerzeugnisse mit Ursprung Russland verarbeitet wurden“. Dies zeigt, dass sich v.a. die Eisen- und Stahlhändler besonders dagegen absichern müssen, dass auch ihre Lieferanten keine Eisen- und Stahlerzeugnisse mit Ursprung Russland u.a. für die Verarbeitung verwenden.
• Neufassung Anhang XIX (staatseigene Unternehmen): Unter Teil B wird das russische Schiffsregister gelistet (vgl. hierzu Nr. 16 der Präambel).
• Neufassung Anhang XXI (Einfuhrverbot: Güter, die Russland erhebliche Einnahmen bringen können), v.a. sehr langer neuer Teil B (neue Altvertragsregelung: Erfüllung bis 8. Januar 2023 für Verträge vor dem 7. Oktober 2022).Neben der Verschärfung sind auch neue Ausnahmen in Art. 3i vorgesehen (u.a. bestimmte Einfuhrkontingente).
• Neufassung Anhang XXIII (Ausfuhrverbot: Güter zur Stärkung der industriellen Kapazität Russlands), der jetzt 32 Seiten lang ist; für vier neue Positionen (Steinkohle, Braunkohle, Torf und Koks) ist eine neue Altvertragsregelung vorgesehen (Erfüllung bis 8. Januar 2023 für Verträge vor dem 7. Oktober 2022).
Zur Prüfreihenfolge (vgl. unseren Beitrag in Heft 4/2022, S. 17 ff.)
Bei den spezifischen Güterverboten ist zu berücksichtigen, dass neue Einfuhrverbote – neben den bisherigen nach Anhang XVII (Eisen und Stahl), XXI (Güter mit erheblichem Einnahmepotenzial für Russland), XXII (Kohleerzeugnisse), XXIV (bestimmte chemische Erzeugnisse) und Anhang XXV für Erdöl/Erdölerzeugnisse – hinzugekommen sind, konkret die Anhänge XXVI (Gold) und XXVII (Schmuckwaren).
Lösung Ausgangsfall 1
Güterprüfung Steinkohle: Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein gelistetes Dual-Use-Gut vorliegt. Aber die Standardprüfung (Eingabe der ZTN in die elektronische konsolidierte Fassung der VO 833/2014) ergibt bisher nur einen Eintrag in Russland-Anhang XXII: Nach Art. 3j besteht somit ein Verbot der EU-Einfuhr von Steinkohle, wenn sie den Ursprung Russland hat oder aus Russland ausgeführt wurde (die Altvertragsregelung ist zum 10. August 2022 ausgelaufen). Seit dem 7. Oktober 2022 wird Steinkohle mit der ZTN 2701 00 auch von Anhang XXIII erfasst, sodass sich aus Art. 3k jetzt auch ein Ausfuhrverbot ergibt. Sollte allerdings der Vertrag vor dem 7. Oktober 2022 abgeschlossen sein, könnte ein solcher Altvertrag noch bis zum 8. Januar 2023 erfüllt werden.
Manuelle Zusatzprüfung: Die Eingabe des Begriffs „Kohle“ führt zu keinen zusätzlichen Treffern in einem der Anhänge.
Güterprüfung Ingenieur-Dienstleistungen: Sofern kein (vor dem 7. Oktober 2022 geschlossener) Altvertrag vorliegt oder keine der gesetzlichen Ausnahmen eingreift, sind D nach Art. 5n Ingenieur-Dienstleistungen gegenüber Personen in Russland (wie R) ab sofort verboten. Da es hier um technische Hilfe für nach Russland ausgeführte Güter geht, ist hierfür Nr. 19 der Präambel zu beachten: Diese technische Hilfe ist dann nicht verboten, wenn der Verkauf/die Lieferung des Gutes zu dem Zeitpunkt der technischen Hilfe noch erlaubt war.
Lösung Ausgangsfall 2
Der Oligarch Alisher Usmanov (AU) ist auf Anhang I der Ukraine-VO 269/2014 gelistet. Es soll davon ausgegangen werden, dass die übrigen vier Anteilseigner nicht gelistet sind. Dann sind 49% der Anteile von R gelistet; da dies unter der 50%-Grenze liegt, ist R nicht als mittelbar gelistet anzusehen. Fragen können sich allerdings dann stellen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen sollten, dass der gelistete Oligarch AU Anteilseigner etwa an einer der zwei Steuervermeidungsgesellschaften sein sollte. Denn mit nur einem zusätzlichen Anteil von 1% würde AU dann die 50%-Grenze erreichen, sodass R als mittelbar gelistet angesehen werden müsste (für die Belieferung von R wäre dann eine BAFA-Genehmigung notwendig). Hier stellen sich schwierige Fragen – v.a. dann, wenn auch nach längeren Recherchen nicht herausgefunden werden kann, welche natürlichen Personen hinter den zwei Gesellschaften stehen.
Resümee
Als Antwort auf die völkerrechtswidrige Annexion Russlands der vier besetzten Regionen der Ukraine war eine entschlossene Antwort der EU in Form eines noch intensiveren Russland-Embargos erforderlich. Diese Antwort hat die EU überzeugend mit dem achten Sanktionspaket gegeben; es wird immer mehr in Richtung eines Fast-Total-Embargos ausgedehnt.
Die Verschärfungen der Ausfuhrverbote (v.a. Anhänge VII, XI und XXIII) und der Einfuhrverbote (v.a. Anhänge XVII und XXI) sind zu begrüßen, da sie tatsächlich Güter betreffen, die für Russland von strategischer Bedeutung sind bzw. für die Stärkung der industriellen Kapazität Russlands wichtig sind oder die für Russland erhebliche Einnahmen bringen können. Dies ist bei den meisten neuen Güterlistungen der Fall; nur bei sehr wenigen Positionen können sich Fragen stellen. Auch die Ausdehnung der Dienstleistungsverbote ist zu begrüßen, solange zwingend notwendige Dienstleistungen (wie Rechtsvertretungen und Ingenieur-Dienstleistungen für vorher verkaufte Güter) noch möglich sind. Der Mechanismus zur Preisobergrenze bedarf der weiteren Präzisierung, um ihn operabel zu machen.
Damit das Russland-Embargo weiterhin effektiv bleibt, sind Maßnahmen erforderlich, um den „in Russland florierenden Graumarkt-Handel“ (Focus vom 9. Oktober 2022) zu verhindern oder zumindest zu minimieren. Denn sonst kommen die Embargowaren trotzdem über Umwege in Russland an. Gerade wenn Händler (selbst innerhalb der EU) beliefert werden, sollten vertragliche Absicherungen und vergleichbare Mittel gewählt werden, um eine Weiterlieferung nach Russland zu verhindern (vgl. unseren Beitrag in Ausgabe 6/2022, S. 22, Thesen 4 bis 6); das gilt v.a. bei Händlern in Russlands Nachbarländern (wie die Türkei, Usbekistan oder das Baltikum), aber auch bei Händlern in möglichen Umgehungsländern (wie China oder Indien).
Für die Exportunternehmen wäre es gut, wenn es Guidance-Dokumente des BAFA zu einzelnen Fragen geben würde. Hier geht es um Fragen, wie z.B. die folgenden:
• Was ist zu tun, wenn gelistete Personen (z.B. Oligarchen) knapp unter 50% der Anteile an einem russischen Kunden halten?
• Welche Dienstleistungen sind in jedem Fall verboten, welche noch erlaubt? Hier könnte z.B. die Grenze zwischen Rechtsberatung einer- und Rechtsvertretung andererseits erläutert werden.
• Welche Schritte sind erforderlich, um mittelbare Lieferungen nach Russland zu verhindern?
Für die Exportunternehmen ist es weiter wichtig, die Unterstützung durch einen Exportanwalt zu haben. Dabei sollte unbedingt das Risiko von Embargoverstößen (und möglichst auch von unnötigen BAFA-Genehmigungsanträgen) vermieden werden.
Wegen aktueller Hinweise zum Russland-Embargo vgl. HIER und zum EU-Exportrecht vgl. HIER.
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