Südostasien rückt stärker in den Blick deutscher Unternehmen. Das Vorhaben der zehn ASEAN-Länder, mit der ASEAN Economic Community (AEC) bis Ende 2015 einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu errichten, treibt die Integration der Märkte voran. Um das regionale Wachstumspotential besser nutzen zu können, richten deutsche Unternehmen ihre Asien-Strategie neu aus. Dabei setzen sie auf innerasiatische Lieferketten, die die Diversität und die komparativen Vorteile der einzelnen Märkte effizient nutzen.

Von Sylvia Röhrig, Redakteurin ExportManager, FRANKFURT BUSINESS MEDIA

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Die Bedeutung Asiens als Absatzmarkt für deutsche Unternehmen wird voraussichtlich in den nächsten zehn Jahren signifikant zunehmen. Im jüngsten „ Trade Forecast“ von HSBC erwarten die Volkswirte der Bank bis 2030 eine besonders stark steigende Nachfrage nach deutschen Produkten nicht nur aus China (+7,9% im Jahresdurchschnitt bis 2030), sondern vor allem auch aus ASEAN-Staaten wie Vietnam (+9,2%), Indonesien (+6,1%) und Malaysia (+6,1%).

„Wir sehen zurzeit eine wachsende Zahl von deutschen Firmen, die ihr Engagement in der Region ausweiten bzw. zusätzliche Standorte oder gar regionale Zentren aufbauen“ sagt Gabriele Schnell, Leiterin Payments and Cash Management, HSBC Deutschland. Ihr Ziel sei es, stärker vor Ort und zunehmend für den regionalen Markt zu produzieren. So könnten die in einigen Ländern noch hohen Zölle bei der Einfuhr von EU-Produkten vermieden werden, erläutert Schnell. Ein weiterer Anreiz für eine Expansion der Geschäftstätigkeit in Asien sei die zurzeit anhaltend schwache Nachfrage in der EU und in den meisten großen Schwellenländern. Deutsche Unternehmen sind zurzeit mit lediglich einem Anteil von 3% an den gesamten ausländischen Direktinvestitionen in den ASEAN-Staaten engagiert. Hier gibt es ein großes Potential nach oben. Der Anteil der USA liegt bei 13%.

Aufstrebende Mittelklasse

Mit mehr als 600 Millionen Verbrauchern bieten die zehn ASEAN-Staaten (Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam) ein Marktpotential, das größer ist als das der Europäischen Union oder Nordamerikas. „Viele deutsche Unternehmen möchten von der günstigen demographischen Entwicklung in den ASEAN-Staaten und der stark wachsenden Mittelschicht profitieren“, sagt Schnell. HSBC prognostiziert, dass sich die Größe der aufstrebenden Mittelklasse bis 2025 auf 116 Millionen Menschen verdoppeln wird. Insbesondere in den Ländern mit mittleren Einkommen wie Malaysia, Thailand, Indonesien und den Philippinen bildet sich zunehmend eine kaufkräftige Mittelschicht heraus. Diese Staaten sind nicht mehr nur als günstige Produktions­standorte attraktiv, sondern auch zunehmend als Absatzmärkte.

Vorübergehende ­Konjunkturabschwächung

„Externe Faktoren wie sinkende Rohstoffpreise und die sich abkühlende Nachfrage aus China schwächen 2015 die Konjunkturentwicklung in einzelnen ASEAN-Staaten ab, räumt Joseph Incalcaterra, Ländervolkswirt für die Region Asien-Pazifik am Standort Hongkong von HSBC, ein. Betroffen seien insbesondere Malaysia, Indonesien und Singapur. Da der US-Dollar weiterhin die Hauptwährung für Transaktionen sei, werde die jüngste Abwertung des Renminbi nur geringen Einfluss haben. Schlechtere Indikatoren hinsichtlich Leistungsbilanz und Staatshaushalt stellten einzelne Länder vor Herausforderungen. Für 2016 sei jedoch wieder mit einer steigenden Wachstumsdynamik in der Region zu rechnen, so Incalcaterra. HSBC prognostiziert für die ASEAN-6-Länder – das sind Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam – einen Anstieg der Wachstumsrate von 4,5% im Jahr 2015 auf 5,0% im Jahr 2016.

AEC treibt Marktintegration voran

Insgesamt seien die langfristigen Wirtschaftsperspektiven in den ASEAN-Staaten sehr gut, erläutert Incalcaterra. Nicht nur die fortschreitende Umsetzung der AEC, sondern auch Freihandelsabkommen der ASEAN-Staaten mit Drittländern im Rahmen der RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) und der TPP (Trans-Pacific Partnership) gäben der Region weitere Wachstumsimpulse. Die RCEP umfasst Freihandelsabkommen der ASEAN-Länder mit den wichtigsten Handelspartnern in Asien-Pazifik – Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, China und Indien. Bei der TPP sind Malaysia, Vietnam, Singapur und Brunei an den Verhandlungen beteiligt.

Ab dem offiziellen Start der AEC am 31. Dezember 2015 können alle Waren zwischen den ASEAN-Ländern zollfrei gehandelt werden. Nur für die weniger entwickelten Länder wie Kambodscha, Laos, Myanmar und Vietnam gibt es noch Ausnahmeregelungen für die nächsten drei Jahre. Der Freihandel ist allerdings bereits heute schon weit entwickelt: Die meisten Waren zwischen den ASEAN-Ländern werden zollfrei oder zu niedrigen Sätzen zwischen 0% und 5% gehandelt.

Großer Liberalisierungsbedarf bestehe allerdings noch beim Abbau zahlreicher nichttarifärer Handelshemmnisse. Zu den großen Herausforderungen zähle z.B. die gegenseitige Anerkennung und Harmonisierung von Standards und Regulierungen für viele Produkte. Auch der Kapitalverkehr sei in vielen Ländern noch nicht liberalisiert. Beim Abbau von Kapitalverkehrskontrollen sei mit langsamen, aber stetigen Fortschritten zu rechnen, lautet die Einschätzung von Incalcaterra.

Regionale Arbeitsteilung

Weil sich das Handlungsumfeld schnell verändert, konzipieren viele Unternehmen ihre Geschäftsstrategie neu und richten diese auf die gesamte ASEAN-Region aus. „Bei der Organisation der innerasiatischen Lieferketten können die Unternehmen die Diversität und die komparativen Vorteile der einzelnen Märkte effizient nutzen“, sagt Ivan McAdam O’Connell. Er leitet am Standort Singapur den Bereich International Subsidiary Banking für HSBC. Hier wird u.a. auch das Bankgeschäft vieler deutscher Niederlassungen betreut. „Der Stadtstadt Singapur bietet sich ideal als Cockpit für die Steuerung der ASEAN-Aktivitäten und insbesondere auch der Finanzaktivitäten an. Aufgaben wie die Kredit- und Kapitalbeschaffung, das Cash-und Währungsmanagement können hier für die gesamte Region erledigt werden. Die moderne Finanz- und Dienstleistungsmetropole lockt mit einem attraktiven Steuersystem, freiem Kapitalverkehr und einem hohen Bildungsniveau. Bereits heute nutzen an die 7.000 internationale Unternehmen den Standort, mehr als die Hälfte davon hat regionale Verantwortung. Etwa 1.400 deutsche Unternehmen seien in Singapur vertreten, so O’Connell.

„Es gibt keine feste Regel, über welches Land man den ASEAN-Wirtschaftsraum am besten erschließen sollte. Die Standortwahl ist vor allem auch branchenabhängig“, erläutert O’Connell. Singapur eignet sich nicht nur besonders gut als regionales und Treasury-Zentrum, sondern auch für die hochwertige Fertigung in den Sektoren Elektronik, Verkehrstechnik, Chemie, Feinmechanik und Biomedizin.

Weil Indonesien, Malaysia und Thailand in den vergangenen Jahren erhebliche technologische Fortschritte gemacht haben und höhere Einkommen aufweisen, sind diese Länder für eine höherwertige Herstellung und auch als Absatzmarkt gut geeignet. Für die kostengünstige Massenproduktion bieten sich dagegen die weniger entwickelten Länder Vietnam, Kambodscha und Laos an. „Einige unserer Kunden ergänzen ihre regionale Strategie, indem sie Shared-Service-Center etablieren – z.B. in Malaysia und auf den Philippinen. Hier können viele administrative Aufgaben durch standardisierte Prozesse und die Nutzung von Skalenerträgen effizient gebündelt werden“, sagt O’Connell.

Kontakt: sylvia.roehrig@frankfurt-bm.com

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